Abschluß mit Kurhessen. 353
mitteldeutschen Handelsverträge gebunden sei, verweigerten die Hessen jede
Antwort, weil ihnen das Gewissen schlug. Man ging also über diesen
wunden Punkt schweigend hinweg.*) Die Kurhessen drängten zur Eile;
denn sie befürchteten einen neuen Umschwung an ihrem heimischen Hofe,
wo Österreich und England-Hannover alle Minen springen ließen, und
sie wollten, geängstigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden
Berlins schleunigst wieder verlassen. Schon am 29. August 1831 war
alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Bayern eine
Ehre zu erweisen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu-
rückdatiert. Kurhessen trat dem preußischen Zollsysteme bei, im wesent-
lichen unter denselben Bedingungen wie einst Darmstadt. Der alte Kur-
fürst ließ diese Demütigung noch über sich ergehen, wenige Tage bevor er
die Regierung seinem Sohne abtrat. Vor sieben Jahren war man in
Berlin bereit gewesen, ein erhöhtes Einkommen an Kurhessen zu bewilligen;
jetzt hatte das Kurfürstentum seinen Durchfuhrhandel verloren und durch
gehäufte Sünden jeden Anspruch auf Begünstigung verscherzt. Hessen
mußte sich begnügen mit dem Maßstabe der Kopfzahl.
Der Vertrag war für Kurhessen eine politische Notwendigkeit, er
rettete das Land aus namenlosem Elend. Selbst der Kasseler Landtag
wagte nicht zu widersprechen, obgleich Silv. Jordan bitterlich beklagte,
daß die indirekten Steuern nunmehr der Verfügung des Landtages ent-
zogen seien und die absolute preußische Krone über das freie Hessen Macht
gewinne. *“) Die mitteldeutschen Verbündeten freilich drohten und lärmten.
Nicht ohne Grund; Kurhessen hatte in den rohesten Formen seine Ver-
tragspflicht gebrochen, ohne auch nur ernstlich eine Verständigung mit den
alten Bundesgenossen zu versuchen. Für Preußen dagegen war ein klarer
Gewinn errungen. Wie die Gotha-Meininger Straße den Verkehr mit
dem süddeutschen Vereine gesichert hatte, so wurde jetzt die lang ersehnte
Verbindung zwischen dem Osten und dem Westen hergestellt, der mittel-
deutsche Verein noch an einer zweiten Stelle durchbrochen. Während in
Thüringen die Zollfreiheit der preußischen Durchfuhrstraße den mittel-
deutschen Verbündeten gefährlich wurde, mußte Kurhessen die höheren
Transitzölle des preußischen Tarifs einführen. Auf Bayerns dringende
Vorstellungen setzte Preußen diese hessischen Zölle bald auf die Hälfte herab.
Eine noch weitergehende Verminderung war vor der Hand untunlich; die
mitteldeutschen Verbündeten, vornehmlich die Frankfurter Kaufleute, sollten
fühlen, daß sie von Preußen abhingen, und durch heilsamen Druck bestärkt
werden in ihrer beginnenden Bekehrung.
Durch den Abfall Kurhessens ward der mitteldeutsche Handelsverein
vernichtet. Der Liberalismus freilich kam so schnell nicht los von den
*) Nach Kühnes Denkwürdigkeiten.
*#) Hänleins Bericht, 18. Okt. 1831.
v. Treitschee, Deutsche Geschichte. XV.
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