410 IV. 7. Das Junge Deutschland.
Gedanken auf, wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Ver—
gangenheit glänzend niederlassen.“ Dabei blieb ihm bis zum Ende „das
ewige Geltenlassen, das Leben und Lebenlassen“, das einst Merck an dem
jungen Freunde so gar nicht begreifen wollte; neidlos, wie kaum je ein
Künstler, hieß er jede Schöpfung der Mitstrebenden willkommen, wenn sie
nur seinem eigenen Wesen nicht ganz fremd oder widrig schien. In sol—
cher Stimmung fand ihn Christian Rauch und formte dann die Statuette
des alten Goethe, genau so wie er in seinem Arbeitszimmer diktierend auf
und nieder zu gehen pflegte, den Kopf frei aufgerichtet, die Hände über
dem Rücken verschränkt, die einzige Unschönheit der herrlichen Gestalt, die
etwas kurzen Beine durch den lang niederwallenden Hausrock glücklich ver—
deckt — ein Bild ruhiger Majestät und Güte, erhabener in seiner Schlicht—
heit, als die theatralische Büste Davids von Angers, der sich nach Fran—
zosenart den deutschen Dichterfürsten wie einen donnernden Zeus dachte.
Noch war vieles in dem Treiben der Gegenwart, was den Dichter
abstoßen mußte. Er sah die mit der Juli-Revolution beginnende Zersetzung
der alten Gesellschaft nur zu deutlich voraus, ohne die Lichtseiten der Be—
wegung zu würdigen, und wendete sich verächtlich hinweg von dem Ge—
sinnungsterrorismus der Freiheitshelden des Tages:
Kommt, laßt uns alles drucken,
Und walten für und für.
Nur sollte keiner mucken,
Der nicht so denkt wie wir.
Während jedermann politisierte und das eigene Haus über den Welt—
händeln vergaß, hielt er nur um so fester an seinem alten Glauben, daß
die sittliche Ordnung der Welt zumeist auf der treuen Erfüllung der näch—
sten Pflichten beruhe, und schrieb noch kurz vor seinem Tode — es waren
wohl seine letzten Verse — einem jungen Freunde ins Stammbuch: Ein
jeder kehre vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier! Auch die
tiefe Einsamkeit, die jedem Meister beschieden ist, ward ihm zuweilen
schmerzhaft; er fühlte, daß ihm der Lohn des Dichters, „der zart ant-
wortende Nachklang und der reine Reflex aus der begegnenden Brust“
doch nur selten zuteil ward. Sehr bitter empfand er die grenzenlose
Dreistigkeit „Der Neuesten“, des jungen Volkes, das sich einbildete, sein
Tauftag sollte der Schöpfungstag sein; noch bitterer, daß sich in dem
Übermute der jungen Schriftsteller so wenig jugendliche Frische, in den
grellen, häßlichen Gebilden ihrer „Lazarettpoesie“ so wenig männliche
Kraft, in ihrem gesucht geistreichen Wesen nur das verfrühte Alter eines
der Naivität und der Ehrfurcht entwachsenen Geschlechtes kundgab. Er
beugte sich in Andacht vor „dem Ewig-Einen, das sich vielfach offenbart“,
und konnte nur mit Achselzucken den hohlen Dünkel der neuen Gottes-
leugner betrachten: „der Professor ist eine Person, Gott ist keine!“
Dennoch stand Goethe in seinen letzten Jahren der Welt, die ihn