Heines Salon. 421
ganz steuerlos wie auf der hohen See der Politik. In den Kern der Sache
vermochte er freilich auch hier nicht einzudringen; was konnte ein Mann,
dem jede tiefe religiöse Empfindung fremd war, über die Religion sagen?
Er half sich nach Dilettantenbrauch durch eine starre Formel, indem er
den gesamten wechselreichen Ideenkampf der Geschichte auf den einfachen
Gegensatz von Sensualismus und Spiritualismus, Weltbejahung und
Weltverneinung zurückführte, das ganze Menschengeschlecht in fette Griechen
und dürre Nazarener einteilte. Unter seinen Händen ward jetzt alles
unrein. In den seltenen Augenblicken, da er noch ein Dichter war, ver—
suchte er „die religiöse Verklärung, die Rehabilitation der Materie“ als
einen Kultus der Schönheit zu rechtfertigen; doch sobald er sich gehen ließ,
betete er nicht mehr zu den olympischen Göttern der Hellenen, sondern zu
der Astarte und dem goldenen Kalbe der Semiten. Zu geistreich und zu
weltklug, um seinen ingrimmigen Christenhaß offen zu bekennen, verfiel er
aus einem Widerspruche in den andern; bald verglich er das Christentum
mit einer ansteckenden Krankheit, bald nannte er es eine Wohltat für die
leidende Menschheit. In Luther sah er nur den Helden des strengen
Spiritualismus — in ihm, der doch gerade die Weltbejahung auf dem
Boden des Christentums erneuert, dem Staate, dem Hause, aller red—
lichen irdischen Arbeit ihre sittliche Berechtigung wiedergegeben hat. Ebenso
oberflächlich betrachtete er die deutsche Philosophie lediglich als eine Macht
der Zerstörung und Zersetzung; also konnte er leicht zu dem erwünschten
Schlusse gelangen, daß der Pantheismus die verborgene Religion unseres
Volkes sei, und die Deutschen demnächst, nach Vollendung ihrer Philo—
sophie, gleich den Franzosen „ihre Revolution ausarbeiten“ würden. Die
sittliche Strenge der Pflichtenlehre Kants verstand er ebensowenig wie die
erhaltenden, aufbauenden Gedanken der Schelling-Hegelschen Geschichts—
philosophie, und von dem stillen Wachstum der kirchlichen Frömmigkeit,
das dem übermute des philosophischen Radikalismus als notwendiger
Rückschlag folgte, ahnte er gar nichts. Wie leer, öde, langweilig erschien
doch diese neue Form des Unglaubens! Die alte Aufklärung glaubte noch
an den ewigen Fortschritt der Menschheit, sie hoffte noch auf einen Tag
des Lichtes; die moderne Lehre der Verklärung des Fleisches verhöhnte alles,
was Menschen menschlich aneinander bindet, und schließlich blieb ihr nichts
mehr übrig als der souveräne Einzelmensch, der sich nach Belieben im
Genusse ungezählter Grisetten und Trüffelpasteten ergehen konnte.
In seinen Kunstberichten besprach Heine die Ausstellungen des Pariser
„Salons“ mit feinem Verständnis; er lenkte die Blicke der Deutschen zu—
erst auf die farbenfrohe Malerei der Franzosen, und manches der neuen
Gemälde begeisterte ihn zu schönen, hochpoetischen Schilderungen. Doch
überall drängte sich sein Ich anmaßend und gefallsüchtig vor; seine besten
Arbeiten verdarb er sich durch Zoten oder Lästerungen, durch politische
Kannegießerei oder unflätige Ausfälle auf seine literarischen Gegner, die