Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Heines Salon. 421 
ganz steuerlos wie auf der hohen See der Politik. In den Kern der Sache 
vermochte er freilich auch hier nicht einzudringen; was konnte ein Mann, 
dem jede tiefe religiöse Empfindung fremd war, über die Religion sagen? 
Er half sich nach Dilettantenbrauch durch eine starre Formel, indem er 
den gesamten wechselreichen Ideenkampf der Geschichte auf den einfachen 
Gegensatz von Sensualismus und Spiritualismus, Weltbejahung und 
Weltverneinung zurückführte, das ganze Menschengeschlecht in fette Griechen 
und dürre Nazarener einteilte. Unter seinen Händen ward jetzt alles 
unrein. In den seltenen Augenblicken, da er noch ein Dichter war, ver— 
suchte er „die religiöse Verklärung, die Rehabilitation der Materie“ als 
einen Kultus der Schönheit zu rechtfertigen; doch sobald er sich gehen ließ, 
betete er nicht mehr zu den olympischen Göttern der Hellenen, sondern zu 
der Astarte und dem goldenen Kalbe der Semiten. Zu geistreich und zu 
weltklug, um seinen ingrimmigen Christenhaß offen zu bekennen, verfiel er 
aus einem Widerspruche in den andern; bald verglich er das Christentum 
mit einer ansteckenden Krankheit, bald nannte er es eine Wohltat für die 
leidende Menschheit. In Luther sah er nur den Helden des strengen 
Spiritualismus — in ihm, der doch gerade die Weltbejahung auf dem 
Boden des Christentums erneuert, dem Staate, dem Hause, aller red— 
lichen irdischen Arbeit ihre sittliche Berechtigung wiedergegeben hat. Ebenso 
oberflächlich betrachtete er die deutsche Philosophie lediglich als eine Macht 
der Zerstörung und Zersetzung; also konnte er leicht zu dem erwünschten 
Schlusse gelangen, daß der Pantheismus die verborgene Religion unseres 
Volkes sei, und die Deutschen demnächst, nach Vollendung ihrer Philo— 
sophie, gleich den Franzosen „ihre Revolution ausarbeiten“ würden. Die 
sittliche Strenge der Pflichtenlehre Kants verstand er ebensowenig wie die 
erhaltenden, aufbauenden Gedanken der Schelling-Hegelschen Geschichts— 
philosophie, und von dem stillen Wachstum der kirchlichen Frömmigkeit, 
das dem übermute des philosophischen Radikalismus als notwendiger 
Rückschlag folgte, ahnte er gar nichts. Wie leer, öde, langweilig erschien 
doch diese neue Form des Unglaubens! Die alte Aufklärung glaubte noch 
an den ewigen Fortschritt der Menschheit, sie hoffte noch auf einen Tag 
des Lichtes; die moderne Lehre der Verklärung des Fleisches verhöhnte alles, 
was Menschen menschlich aneinander bindet, und schließlich blieb ihr nichts 
mehr übrig als der souveräne Einzelmensch, der sich nach Belieben im 
Genusse ungezählter Grisetten und Trüffelpasteten ergehen konnte. 
In seinen Kunstberichten besprach Heine die Ausstellungen des Pariser 
„Salons“ mit feinem Verständnis; er lenkte die Blicke der Deutschen zu— 
erst auf die farbenfrohe Malerei der Franzosen, und manches der neuen 
Gemälde begeisterte ihn zu schönen, hochpoetischen Schilderungen. Doch 
überall drängte sich sein Ich anmaßend und gefallsüchtig vor; seine besten 
Arbeiten verdarb er sich durch Zoten oder Lästerungen, durch politische 
Kannegießerei oder unflätige Ausfälle auf seine literarischen Gegner, die
	        
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