Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

422 IV. 7. Das Junge Deutschland. 
er mit der ganzen Unersättlichkeit jüdischen Hasses bis über das Grab 
hinaus verfolgte. Eben jetzt befand sich die französische Literatur in trüber 
Gärung, auf die kurze schöne Blütezeit der Restauration folgte ein jäher 
Verfall. Der Kampf des Tages riß alle guten Köpfe in seine Strudel; 
zu reinem künstlerischem Schaffen vermochte in der allgemeinen Hast fast 
niemand mehr sich zu sammeln, unter unzähligen lärmenden Mittel- 
mäßigkeiten brachte die neue Zeit nur einen einzigen starken Dichtergeist 
hervor, die George Sand. Die klassische Formenschönheit des Zeitalters 
Ludwigs XIV. wurzelte sehr tief in den Gefühlen und üÜberlieferungen 
der Nation; darum führte der Kampf wider die akademischen Regeln hier 
nicht, wie vormals in Deutschland, zu einem neuen freieren Idealismus, 
sondern zur Auflösung aller Kunstformen, zur Zersetzung aller Ideale. 
Die französische Romantik ging in einem wüsten sozialen Radikalismus zu 
Grunde. Sinnlich, unklar, weichlich, setzte sie das Obszöne und Gräßliche 
an die Stelle der Leidenschaft, sie bekämpfte den Staat, die Gesellschaft, 
die Ehe, sie wühlte in Blut und Kot, sie schwelgte bald in begehrlichen 
Träumen, bald in dem Weltschmerz der Übersättigung und vermochte 
gleichwohl nichts Neues zu schaffen. Nur im Widerspruche gegen die be- 
stehende Ordnung fand sich die Willkür dieses zügellosen Subjektivismus 
zusammen; seit Beranger und Chateaubriand ihre neue Freundschaft 
schlossen, gehörten die literarischen Talente fortan allesamt der Opposition. 
Ohne Widerstand überließ sich Heines empfänglicher, unselbständiger 
Geist allen den verworrenen Gedanken, welche dieser fieberisch erregten, 
und doch altersschwachen, epigonenhaften Literatur entströmten. Begierig 
schlürfte er den Schaum von jedem Pariser Feuertranke; sogar die sozia- 
listischen Hirngespinste des Vaters Enfantin begeisterten ihn eine Zeit- 
lang, bis ihn der ästhetische Widerwille des Dichters und des Weltkindes 
von dem „ganz kommunen, feigenblattlosen Kommunismus“ wieder abzog. 
Von dauernden Ergebnissen ließ diese zerfahrene Schriftstellerei nichts zu- 
rück als einige schöne Lieder und eine Masse teils guter, teils gemeiner 
Witze; jedoch ihre augenblickliche Wirksamkeit war ungeheuer. Heine wurde, 
die Franzosen selbst überflügelnd, der Meister des europäischen Feuilleton- 
stils, der Bannerträger jener journalistischen Frechheit, die alle Höhen und 
Tiefen des Menschenlebens mit einigen flüchtigen Einfällen abtat. Seine 
internationalen Stammgenossen, die überall schon, vorerst noch vorsichtig 
in zweiter Reihe, ihre Zeitungsgeschäfte aufschlugen, verherrlichten ihn 
darum über alles Maß hinaus. Man nannte ihn den anderen Aristo- 
phanes, den ungezogenen Liebling der Grazien, und vergaß nur den hand- 
greiflichen Unterschied, daß die aristophanische Ausgelassenheit der Über- 
kraft eines schöpferischen Genius entsprang, die Ungezogenheit Heines dem 
künstlerischen Unvermögen eines kleineren Geistes, der nichts Mächtiges 
schaffen konnte und sich durch spöttischen übermut selber trösten mußte. 
Seine verlassenen Landsleute betörte Heine durch jenen Zauber des
	        
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