458 IV. 7. Das Junge Deutschland.
waren im Anfang nicht viel mehr als Wohltätigkeitsanstalten, und der
arme Ludwig Richter meinte bitter, man wisse nicht recht, ob Künstlerhunger
oder Kunsthunger sie gegründet habe. Schwer genug hielt es oft, die aller
Formenlust entwöhnte Gesellschaft für ideale Genüsse zu erwärmen, am
schwersten im nüchternen Niedersachsen. Als in Hannover 1833 zum Ge—
burtstage des geliebten Vizekönigs die erste Kunstausstellung eröffnet wurde,
sah sich der Bürger für vier Groschen die Bilder einmal an, der Edel-
mann aber und der Beamte löste anstandshalber für einen Taler eine
Eintrittskarte, die zu beliebigem Besuche berechtigte, und wie oft erklang
nun die Klage: jetzt muß ich noch zweimal hingehen, dann hab' ich meine
Karte abgelaufen! Mit den Jahren ward die Mode zur Freude, die Zahl
der Teilnehmer wuchs, und bald entstanden aus den Sammlungen der
Kunstvereine neue städtische Galerien, die, vom Gemeinsinn der Bürger
eifrig gefördert, mit den alten Bilderschätzen der Residenzen zu wetteifern
suchten. So erzog sich die Kunst ihr Publikum, freilich mußte sie auch
seinem Geschmacke sich anschmiegen.
Die Düsseldorfer malten, was der Durchschnittsbildung zusagte, Land-
schaften, Genrebilder, und mit Vorliebe die Gestalten der Dichtung. Bei
den meisten Völkern geht die klassische Literatur der Blütezeit der bildenden
Künste voraus, sie findet überall zuerst die neuen Ideale; aber nirgends
hat die Malerei so vieles unmittelbar von den Dichtern entlehnt wie in
Deutschland. Eben jetzt waren die Werke unserer Klassiker und der wieder-
belebte Shakespeare der Masse der Gebildeten erst vertraut geworden, sie
standen noch allen in frischer Erinnerung, und mit kindlicher Begeisterung
wurden die Bilder der Mignon, der beiden Leonoren, der Söhne Eduards
begrüßt, denn unwillkürlich fanden die Beschauer in den Gemälden den
Zauber der Gedichte wieder. Den Meistern Sohn, Hildebrandt, Schirmer
folgte eine Schar treufleißiger junger Leute, die mit ihren empfindsamen
Genoveven, Aschenbrödeln und Rotkäppchen der Damenwelt heiße Tränen
entlockten; manche von ihnen schienen zu glauben, daß der einfache Gegen-
satz von Brünetten und Blondinen, verwitterten Männern und rosigen
Jünglingen den ganzen Reichtum des Menschenlebens erschöpfe.
Gleichwohl blieben in der frischen rheinischen Luft der Farbensinn und
das Naturgefühl immer lebendig. Schadows Schule brachte die Technik
der Malerei, den liebevoll ins einzelne dringenden Künstlerfleiß wieder zu
Ehren, und wie die Düsseldorfer nicht verschmähten, von den Franzosen zu
lernen, so gewannen sie auch der deutschen Kunst zuerst wieder den Beifall
des Auslands. Einige ihrer kräftigsten Talente wagten sich auch schon in
die historische Welt hinaus. Etwas empfindsam, aber wahr und tief er-
faßte der junge Bendemann den poetischen Gehalt großer geschichtlicher
Katastrophen in seinen Erstlingswerken, den trauernden Juden und dem
Jeremias; der glänzende Erfolg bewies, wieviel gemeinverständlicher als
das Freskogemälde der malerische Reiz des Olbildes den modernen Men-