Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

462 IV. 7. Das Junge Deutschland. 
Bläser, Wolff und, alle überragend, der Kursachse Ernst Rietschel, ein 
sanfter, romantisch gestimmter Geist, der erst durch Rauch in die antike 
Welt eingeführt, dann aber schnell erstarkt des Meisters Lieblingsschüler 
wurde. 
Wie schwächlich erschien neben diesem klassischen Realismus der Ber- 
liner Schule die Schnellfertigkeit Schwanthalers. Er war und blieb ein 
Romantiker; das mußte jeder fühlen, der ihn auf seiner Burg Schwaneck 
hoch über der Isar nach mittelalterlichem Ritterbrauche leben sah. Den 
entsagenden Fleiß, den die Strenge der Antike ihren Schülern aufzwingt, 
kannte er nicht. Wahrhaft lebendig war in der Münchner plastischen 
Kunst nur die Erzgießerei. Sie erlangte einen Weltruf, seit Miller die 
Leitung des Gießhauses übernommen hatte; selbst die Amerikaner bestell- 
ten sich dort die ehernen Türen für ihr Kapitol. — 
Ein Glück für Rauch, daß ihm die Bayern so viel Beschäftigung 
gaben. Preußen mußte jetzt mit Aufträgen kargen, da die Kriegsrüstungen 
alle verfügbaren Mittel verschlungen hatten; was für die Kunst noch übrig 
blieb, wurde großenteils für die Vollendung des Museums dahingegeben. 
So konnte auch Schinkel nur noch einmal eine Aufgabe bewältigen, die 
seines Genius würdig war. Widerwillig hatte er sich bei den meisten seiner 
Bauten bisher mit dem Blendwerk der Verputzung beholfen. Er wußte 
wohl, daß die Werke seiner geliebten Alten ihre majestätische Wirkung nicht 
bloß dem Adel der Formen, sondern auch der tadellosen Gediegenheit des 
Rohstoffes verdankten. Da die Staatskassen den Haustein nicht zu er- 
schwingen vermochten, so griff er zurück zu der volkstümlichen, natur- 
gemäßen Bauweise der Ebene und schuf in der Berliner Bauakademie 
das edle Vorbild für den Backsteinrohbau, der seitdem in seiner alten 
norddeutschen Heimat wieder aufzublühen begann. Es war vielleicht das 
eigentümlichste seiner Werke, ein mächtiger Würfel, trutzig wie die floren- 
tinischen Paläste des Mittelalters, und doch voll Anmut; blaue Back- 
steinstreifen belebten die düster-roten Wände — ein ganz neuer Versuch 
in diesen des Farbensinnes entwöhnten Tagen; die klassischen Terrakotten- 
ornamente fügten sich in die Flachbogen der breiten Fenster harmonisch ein. 
Sonst wurden ihm nur noch kleinere Arbeiten zugewiesen, und sehr 
schmerzlich empfand er, wie dieUngunst der Zeit ihm die Schwingen beschnitt, 
denn er stellte die Kunst sogar noch höher als die Sprache; der Sieg der 
hellenischen Kultur über die Nacht der Urzeit, den er in den Zeichnungen für 
die Vorhalle des Museums schilderte, war ihm der eigentliche Inhalt aller 
Geschichte. Aber auch bei unscheinbaren Werken blieb er immer treu seinem 
Spruche: „die Kunst ist überhaupt nichts, wenn sie nicht neu ist, überall, 
wo man sucht, ist man wahrhaft lebendig.“ Mochte er für die Berliner 
Vorstadt Moabit oder für das entlegene Litauer Städtchen Darkehmen 
eine Kirche bauen, immer suchte er auf neue Weise die Frage zu lösen, 
wie sich die praktischen Bedürfnisse des evangelischen Kultus mit den Ge-
	        
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