Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

464 IV. 7. Das Junge Deutschland. 
schen Soldaten errichtet wurde. Es war ein Meisterstück der Erzgießerei; 
am Fußgestell prangten die Widderköpfe altrömischer Mauerbrecher und die 
Inschrift: Auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung. Die Mün— 
chener Bürger aber, die von der römischen Aries nichts wußten, fragten 
mit verzeihlichem Erstaunen, warum ihr Monarch seine tapferen Krieger 
durch vier große Schafköpfe ehren wolle, und als Zar Nikolaus sich den 
Obelisken besah, mußte König Ludwig seine ganze Beredsamkeit aufbieten, 
um dem Russen zu beweisen, daß die Inschrift wirklich einen Sinn hätte. 
Indes bewiesen Zieblands Bonifatius-Basilika und Ohlmüllers gotische 
Kirche in der Au, daß die Münchener Bauhütte auch gesunde Talente zu 
erziehen wußte. Manche Unternehmungen des kunstsinnigen Königs, die 
den Zeitgenossen noch sonderbar erschienen, fanden erst nachträglich ihre 
Rechifertigung, seit der Verkehr wuchs und freundliche Bürgerhäuser die 
Prachtbauten rings umschlossen. 
  
Die redenden wie die bildenden Künste konnten sich den krankhaften 
Stimmungen des Zeitalters nicht entziehen; die Wissenschaft hingegen be- 
wahrte das Mark des deutschen Genius fast unversehrt. Sie übernahm 
jetzt die Erbschaft der großen Überlieferungen der klassischen und der 
romantischen Epoche zugleich, und es bezeichnet den verschlungenen Ent- 
wicklungsgang dieses vom Himmel auf die Erde niedersteigenden Volkes, 
daß die Deutschen auch in der politischen Geschichtschreibung anderen Na- 
tionen vorausschritten zu einer Zeit, da die schlichte Tüchtigkeit der preu- 
ßischen Staatskunst, arm wie sie war an glänzenden Erfolgen, weder 
daheim noch auswärts irgend gewürdigt wurde. Leopold Ranke hatte mitt- 
lerweile seine Wanderjahre angetreten. In Wien lernte er Gentz kennen 
und befestigte sich aufs neue in der Einsicht, daß der Staat zuerst Macht 
ist, die Herrschaft über Europa durch das Einverständnis der großen Mächte 
ausgeübt wird. Dort entstand auch, unter dem frischen Eindrucke der 
Aufzeichnungen und Gespräche des serbischen Patrioten Wuk die „Ge- 
schichte der serbischen Revolution“, ein Muster lebendiger, das Ferne und 
Fremde vergegenwärtigender Erzählungskunst, ganz frei von der Schwer- 
fälligkeit deutscher Zunftgelehrsamkeit und doch kritisch gesichtet und gesichert. 
Dann ging er nach Rom, und hier, wo die Kunst und die Altertums- 
kunde der Deutschen neues Leben geschöpft hatten, sollte auch die Forschung 
der neueren Geschichte ihren Jungbrunnen finden. Im sechzehnten und 
siebzehnten Jahrhundert, die noch lange Rankes bevorzugtes Arbeitsfeld 
blieben, umspannte die Politik der Päpste noch die Welt; von Rom und 
Venedig aus konnte er den Wandel der internationalen Machtverhältnisse 
nicht vollständig, aber mit annähernder Sicherheit übersehen, die in Italien 
gesammelten archivalischen Schätze bildeten den Grundstock seiner unver- 
gleichlichen diplomatischen Gelehrsamkeit. Also ausgerüstet schuf er das
	        
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