464 IV. 7. Das Junge Deutschland.
schen Soldaten errichtet wurde. Es war ein Meisterstück der Erzgießerei;
am Fußgestell prangten die Widderköpfe altrömischer Mauerbrecher und die
Inschrift: Auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung. Die Mün—
chener Bürger aber, die von der römischen Aries nichts wußten, fragten
mit verzeihlichem Erstaunen, warum ihr Monarch seine tapferen Krieger
durch vier große Schafköpfe ehren wolle, und als Zar Nikolaus sich den
Obelisken besah, mußte König Ludwig seine ganze Beredsamkeit aufbieten,
um dem Russen zu beweisen, daß die Inschrift wirklich einen Sinn hätte.
Indes bewiesen Zieblands Bonifatius-Basilika und Ohlmüllers gotische
Kirche in der Au, daß die Münchener Bauhütte auch gesunde Talente zu
erziehen wußte. Manche Unternehmungen des kunstsinnigen Königs, die
den Zeitgenossen noch sonderbar erschienen, fanden erst nachträglich ihre
Rechifertigung, seit der Verkehr wuchs und freundliche Bürgerhäuser die
Prachtbauten rings umschlossen.
Die redenden wie die bildenden Künste konnten sich den krankhaften
Stimmungen des Zeitalters nicht entziehen; die Wissenschaft hingegen be-
wahrte das Mark des deutschen Genius fast unversehrt. Sie übernahm
jetzt die Erbschaft der großen Überlieferungen der klassischen und der
romantischen Epoche zugleich, und es bezeichnet den verschlungenen Ent-
wicklungsgang dieses vom Himmel auf die Erde niedersteigenden Volkes,
daß die Deutschen auch in der politischen Geschichtschreibung anderen Na-
tionen vorausschritten zu einer Zeit, da die schlichte Tüchtigkeit der preu-
ßischen Staatskunst, arm wie sie war an glänzenden Erfolgen, weder
daheim noch auswärts irgend gewürdigt wurde. Leopold Ranke hatte mitt-
lerweile seine Wanderjahre angetreten. In Wien lernte er Gentz kennen
und befestigte sich aufs neue in der Einsicht, daß der Staat zuerst Macht
ist, die Herrschaft über Europa durch das Einverständnis der großen Mächte
ausgeübt wird. Dort entstand auch, unter dem frischen Eindrucke der
Aufzeichnungen und Gespräche des serbischen Patrioten Wuk die „Ge-
schichte der serbischen Revolution“, ein Muster lebendiger, das Ferne und
Fremde vergegenwärtigender Erzählungskunst, ganz frei von der Schwer-
fälligkeit deutscher Zunftgelehrsamkeit und doch kritisch gesichtet und gesichert.
Dann ging er nach Rom, und hier, wo die Kunst und die Altertums-
kunde der Deutschen neues Leben geschöpft hatten, sollte auch die Forschung
der neueren Geschichte ihren Jungbrunnen finden. Im sechzehnten und
siebzehnten Jahrhundert, die noch lange Rankes bevorzugtes Arbeitsfeld
blieben, umspannte die Politik der Päpste noch die Welt; von Rom und
Venedig aus konnte er den Wandel der internationalen Machtverhältnisse
nicht vollständig, aber mit annähernder Sicherheit übersehen, die in Italien
gesammelten archivalischen Schätze bildeten den Grundstock seiner unver-
gleichlichen diplomatischen Gelehrsamkeit. Also ausgerüstet schuf er das