Rankes Geschichte der Päpste. 465
schönste seiner Werke, die Geschichte der Päpste — ein Buch, das nur ein
Deutscher und unter den Deutschen nur Ranke schreiben konnte. Die Viel—
seitigkeit seines Erkennens und Verstehens war bedingt durch eine geniale
Einseitigkeit der Charakteranlage, wie sie sich sonst fast nur bei schroffen
und harten Naturen findet. Mit einem lebhaften und empfänglichen
Geiste verband er von früh auf eine gelassene Ruhe des Gemüts, die
selbst das Geschehende wie ein Geschehenes hinnahm. Als Jüngling auf
der Schulpforte hatte er einst die Schlachten von Großgörschen und Leipzig
nahe vor Augen gesehen, nicht gefühllos, aber auch unberührt von jener
glühenden vaterländischen Begeisterung, welche damals so viele andere
junge Kursachsen unter die Fahnen der Verbündeten führte. Dann wurde
er durch die Teilung Sachsens ein Preuße, und dankbar erkannte er die
Ordnung, die Gerechtigkeit, die Bildung des neuen Heimatstaates an;
doch das kurz angebundene preußische Wesen, der eigentümliche „Muck“
der Märker blieb ihm ebenso fremd wie der reizbare Stolz preußischer
Staatsgesinnung, und soweit sich in seiner durchaus selbständigen Auf-
fassung deutscher Geschichte die Spuren alter Überlieferungen erkennen
ließen, wiesen sie nach Kursachsen zurück, nicht nach Preußen. So ward
er auch zur Wahl seines Berufes nicht durch Lebenserfahrungen bestimmt,
wie die Mehrzahl der bedeutenden Männer, sondern durch die Arbeit des
Erkennens selbst; er las Geschichtswerke ohne Zahl, und erst aus der
Fülle des Wissens erwuchs ihm der Entschluß, der Welt die Wirklichkeit
des historischen Lebens zu zeigen, rein, zuverlässig, bestimmt, so daß er
selbst hinter dem Bilde ganz verschwände.
Als er die Geschichte der Päpste begann, schlug er die augenblickliche
Macht des Vatikans sehr niedrig an. „Das Verhältnis der päßpstlichen
Gewalt zu uns“, sagte er gleichmütig, „übt keinen wesentlichen Einfluß weiter
aus. Die Zeiten, wo wir uns fürchten konnten, sind vorüber, wir fühlen
uns allzu wohl gesichert.“ Es war ein Irrtum, den er mit der gesamten
Zeit teilte; in späteren Jahren nahm er ihn selbst zurück und gestand,
eine neue Epoche des Papsttums habe begonnen. Aber jenem glücklichen
Gefühle der Sicherheit verdankte sein Buch den künstlerischen Zauber.
Mit einer Unbefangenheit, die in der allezeit streitbaren Kirchengeschichte
ohnegleichen dastand, schilderte er die große Tragödie der Gegenrefor-
mation und übertrug Niebuhrs kritische Methode zum ersten Male in die
Erforschung der neuen Geschichte. Mochte er freien Blicks die weithin
über die Erde verzweigten Pläne der geistlichen Weltherrschaft überschauen
oder Art und Unart der handelnden Männer mit feinen, sauberen Strichen
zeichnen, das Große wie das Kleine der historischen Welt war ihm gleich
vertraut. Zum ersten Male seit Schillers gewaltigen historischen Charakter-
schilderungen schuf ein deutscher Geschichtsschreiber wieder die Bilder leben-
diger Menschen, aber nicht bloß mit künstlerischer Phantasie, sondern auch
mit gelehrter Sachkenntnis. Hinter der leichten Anmut der Erzählung
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 30