Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Rankes Geschichte der Päpste. 465 
schönste seiner Werke, die Geschichte der Päpste — ein Buch, das nur ein 
Deutscher und unter den Deutschen nur Ranke schreiben konnte. Die Viel— 
seitigkeit seines Erkennens und Verstehens war bedingt durch eine geniale 
Einseitigkeit der Charakteranlage, wie sie sich sonst fast nur bei schroffen 
und harten Naturen findet. Mit einem lebhaften und empfänglichen 
Geiste verband er von früh auf eine gelassene Ruhe des Gemüts, die 
selbst das Geschehende wie ein Geschehenes hinnahm. Als Jüngling auf 
der Schulpforte hatte er einst die Schlachten von Großgörschen und Leipzig 
nahe vor Augen gesehen, nicht gefühllos, aber auch unberührt von jener 
glühenden vaterländischen Begeisterung, welche damals so viele andere 
junge Kursachsen unter die Fahnen der Verbündeten führte. Dann wurde 
er durch die Teilung Sachsens ein Preuße, und dankbar erkannte er die 
Ordnung, die Gerechtigkeit, die Bildung des neuen Heimatstaates an; 
doch das kurz angebundene preußische Wesen, der eigentümliche „Muck“ 
der Märker blieb ihm ebenso fremd wie der reizbare Stolz preußischer 
Staatsgesinnung, und soweit sich in seiner durchaus selbständigen Auf- 
fassung deutscher Geschichte die Spuren alter Überlieferungen erkennen 
ließen, wiesen sie nach Kursachsen zurück, nicht nach Preußen. So ward 
er auch zur Wahl seines Berufes nicht durch Lebenserfahrungen bestimmt, 
wie die Mehrzahl der bedeutenden Männer, sondern durch die Arbeit des 
Erkennens selbst; er las Geschichtswerke ohne Zahl, und erst aus der 
Fülle des Wissens erwuchs ihm der Entschluß, der Welt die Wirklichkeit 
des historischen Lebens zu zeigen, rein, zuverlässig, bestimmt, so daß er 
selbst hinter dem Bilde ganz verschwände. 
Als er die Geschichte der Päpste begann, schlug er die augenblickliche 
Macht des Vatikans sehr niedrig an. „Das Verhältnis der päßpstlichen 
Gewalt zu uns“, sagte er gleichmütig, „übt keinen wesentlichen Einfluß weiter 
aus. Die Zeiten, wo wir uns fürchten konnten, sind vorüber, wir fühlen 
uns allzu wohl gesichert.“ Es war ein Irrtum, den er mit der gesamten 
Zeit teilte; in späteren Jahren nahm er ihn selbst zurück und gestand, 
eine neue Epoche des Papsttums habe begonnen. Aber jenem glücklichen 
Gefühle der Sicherheit verdankte sein Buch den künstlerischen Zauber. 
Mit einer Unbefangenheit, die in der allezeit streitbaren Kirchengeschichte 
ohnegleichen dastand, schilderte er die große Tragödie der Gegenrefor- 
mation und übertrug Niebuhrs kritische Methode zum ersten Male in die 
Erforschung der neuen Geschichte. Mochte er freien Blicks die weithin 
über die Erde verzweigten Pläne der geistlichen Weltherrschaft überschauen 
oder Art und Unart der handelnden Männer mit feinen, sauberen Strichen 
zeichnen, das Große wie das Kleine der historischen Welt war ihm gleich 
vertraut. Zum ersten Male seit Schillers gewaltigen historischen Charakter- 
schilderungen schuf ein deutscher Geschichtsschreiber wieder die Bilder leben- 
diger Menschen, aber nicht bloß mit künstlerischer Phantasie, sondern auch 
mit gelehrter Sachkenntnis. Hinter der leichten Anmut der Erzählung 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 30
	        
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