Der Züriputsch. 491
Seine wissenschaftliche überlegenheit war so groß und die Bewun—
derung der akademischen Weltkinder für den unerschrockenen Kämpfer so
lebendig, daß ihm auf die Dauer ein philosophischer Lehrstuhl kaum ent—
gehen konnte. Der schwäbische Starrkopf verlangte aber nach einer theo—
logischen Professur, obgleich er schon fast alle Grundlehren des Christen—
tums in Frage gestellt hatte; es war genau dasselbe, wie wenn Martin
Luther gefordert hätte, mitsamt seiner Frau Katharina General des
Augustinerordens zu werden. Und wirklich fanden sich einige akademische
Heißsporne bereit, dies sonderbare Begehren zu unterstützen. In Zürich
hatte die neue radikale Regierung kürzlich eine Universität gegründet, die
alsbald mehrere tüchtige Gelehrte aus der dichten Schar der deutschen
Demagogen und Unzufriedenen an sich zog. Lorenz Oken, der sich in
München nach seiner Gewohnheit wieder mit den Behörden überworfen
hatte, wurde ihr erster Rektor und schrieb dort sein bestes Werk, die Na-
turgeschichte. Warum sollte dies neue Limmat-Athen, das mit unend-
licher Verachtung auf die deutschen Fürstenknechte herabschaute, nicht auch
dem bestgehaßten Manne der deutschen Theologenzunft den Lehrstuhl der
Dogmatik anvertrauen? Einige der Züricher Radikalen hofften schon, auf
die vollendete politische Umwälzung werde eine neue kirchliche Reformation
folgen. Nach heftigem Widerspruch wurde die Berufung bei den Kanto-
nalbehörden durchgesetzt und Strauß erklärte sich sofort bereit, ihr zu folgen
(1839). Doch unmöglich konnte die Heimat Zwinglis einen solchen Ab-
fall von allen ihren alten Überlieferungen gelassen hinnehmen. In der
behaglichen Anarchie dieses demokratischen Staatswesens meinte sich jeder
Geißbub berechtigt, über die Befähigung theologischer Professoren sein sach-
verständiges Gutachten abzugeben. Einige rechtgläubige Eiferer erhoben
den Schreckensruf „die Religion ist in Gefahr“, Hurter und die Ultra-
montanen der Nachbarkantone stimmten kräftig ein, das gesamte Bauern-
volk am See wurde aufsässig, und die gemäßigte Partei in der Stadt,
an deren Spitze der junge liberale Freimaurer J. C. Bluntschli stand,
schloß sich der Volksbewegung an. Die Regierung erschrak, sie nahm ihren
Beschluß zurück und fand sich mit dem Berufenen ab durch eine Jahres-
pension von 1000 Franken, welche Strauß, auf sein Recht trotzend, un-
bedenklich annahm, aber zu wohltätigen Zwecken verwendete. Den spar-
samen Seebauern dagegen erschienen diese einem Ausländer gewährten
tausend Franken als eine frevelhafte Verschwendung, da ihr Kanton nie-
mals Pensionen zahlte; sie lärmten wider „die Straußen“ und ruhten
nicht, bis sie durch offenen Aufruhr, durch den „Züriputsch“ die radikale
Regierung gestürzt hatten.
Diese tragikomische Revolution brachte den Namen des schwäbischen
Theologen gänzlich in Verruf; keine der deutschen philosophischen Fakul-
täten wagte mehr, dem Bescholtenen einen angemessenen Wirkungskreis
für sein glänzendes Lehrtalent anzubieten. Aber auch er selbst wurde durch