492 IV. 7. Das Junge Deutschland.
so trübe Erfahrungen verbittert und in einen bodenlosen Radikalismus
hineingetrieben. Sein zweites großes Werk, die Christliche Glaubens-
lehre (1840), in der Form noch gewandter als das erste, enthielt schon
eine offene Kriegserklärung gegen das Christentum und bewies lediglich,
daß dieser Mann wohl ein scharfsinniger Kritiker, aber weder ein Philo-
soph noch ein Historiker war. In einer Zeit, da die Macht der römischen
Kirche sich wieder streitbar erhob, stellte er die doktrinäre Behauptung auf,
der Gegensatz von Protestantismus und Katholizismus bedeute nichts mehr
neben dem Kampfe der rechtgläubigen und der spekulativen Theologie.
Ganz so beschränkt in seinem Parteihasse wie Rotteck oder Hengstenberg,
wollte er also auf der weiten Welt nur noch die zwei Völker der Ungläu-
bigen und der Gläubigen, der Freien und der Knrechtischgesinnten er-
kennen. Er dachte, wie er sich bezeichnend ausdrückte, für das Hand-
lungshaus der Christenheit die Bilanz zu ziehen und gelangte zu dem ein-
fachen Ergebnis, daß diese alte Firma längst bankrott sei. Wie Hegel
selbst betrachtete er die Dogmen als abstrakte Begriffe und bemerkte nicht,
was doch schon Schleiermacher nachgewiesen hatte, daß diese Ansicht alle
evangelische Freiheit aufhebt, weil sie den Wissenden, den Gelehrten eine
päpstliche Gewalt über die Unwissenden, die in der Regel die Frömmsten sind,
einräumt. So ward denn Schritt für Schritt jedes Dogma als der Ge-
danke einer überwundenen Weltanschauung „aufgelöst“. Die Offenbarung
war ihm nur noch eine Rinde, welche sich am Baume der Menschheit
dereinst angesetzt hätte, aber jetzt verholzt sei und abbröckele. Von der
Kraft der Ergebung und Erhebung wußte er nichts; darum hielt er das
Gebet für eine Selbsttäuschung und gestattete nur eine „Kontemplation,
die sich in die kühlende Tiefe des einen Grundes aller Dinge versenke.“
Nach Auflösung aller Glaubenssätze blieb also für die moderne Kirche
gar keine selbständige Aufgabe mehr; sie sollte vom Staate verschlungen
werden, sobald man sich nur erst entschließe, den katholischen Standpunkt
ganz zu verlassen. Diese letzte Folgerung aus den Vordersätzen seiner
Religionsphilosophie hatte Hegel selbst als ein Kenner des Staatslebens
niemals ziehen wollen; sein schwäbischer Schüler zog sie unbedenklich, weil
er in seinem Stubenleben der Welt entfremdet war und nicht einsah,
daß die zwingende Gewalt des Staates, wenn sie sich je des Gemüts-
lebens bemächtigt, notwendig tyrannisch wird. In der Theologie sah er
mithin nur die „Wissenschaft des unwissenden, idiotischen Bewußtseins“;
wer sie recht kannte, mußte sie als leeres Geschwätz aufgeben — ein er-
staunliches Geständnis im Munde eines Gelehrten, der sich soeben selbst
um eine Professur des idiotischen Bewußtseins bemüht hatte. „Religiöse
Idioten und theologische Autodidakten“ — so rief er aus — „das sind die
Geistlichen der Zukunft;“ bis dahin werden freilich noch viele „arme
Knabenseelen durch den Speck der Stiftungen in die theologische Mause-
falle gelockt“ werden.