Die Orthodoxen. Goßner. Gerlach. 495
liche Professur in Berlin. Er war es auch, der dem vielverfolgten Pater
Johannes Goßner endlich eine würdige Wirksamkeit in Berlin eröffnete.
Dieser edle Mann, ein geborener Kanzelredner voll feuriger Glaubens-
kraft und kindlicher Einfalt, hatte sich einst in Bayern der mystisch-evangeli-
schen Richtung des Bischofs Sailer zugewendet; er war dann, weil er die
Bibelgesellschaften förderte, aus Rußland vertrieben worden und hierauf
förmlich zur evangelischen Kirche übergetreten. In Berlin herrschte aber
der Rationalismus noch so unumschränkt, daß unter allen Geistlichen allein
Schleiermacher sich bereit fand, dem Konvertiten seine Kanzel zu über-
lassen. Endlich erlangte Goßner doch, daß der Prediger Moblank an der
Luisenstädtischen Kirche ihn für einige Monate mit seiner Vertretung be-
auftragte. Die Folge war, wie der Kronprinz schrieb, daß eine Kirche,
die seit fünfzig Jahren leer gestanden, die Zahl der Andächtigen nicht mehr
fassen konnte, „weil ein Märtyrer der evangelischen Wahrheit, wie sie
Luther gepredigt, dort Gottes Wort verkündigt.“ Das Konsistorium jedoch
verbot dem Eindringling die Kanzel und verlangte von dem fünfundfünf-
zigjährigen ordinierten Priester, er müsse erst seine Befähigung nachweisen.
„Owiesind siemitmir umgegangen“ — sagte Goßner traurig —,daß sich Gott
erbarmen möge! Ich alter Esel mußte mich von fünf Räten examinieren
lassen und nachdem ich dreißig Jahre in aller Welt gepredigt, eine Probe-
predigt halten!“ Dann wurde er endlich von der frömmsten Gemeinde
der Hauptstadt, den böhmischen Brüdern der Bethlehemskirche, zum Pastor
erwählt, und nun — so schrieb der Kronprinz an Altenstein — muß es
„sich zeigen, ob er auf dem rechten Wege ist oder nicht, ob er der aus-
gezeichnete Mann ist, für den ich ihn gewiß halte, oder der Schleicher, der
falsche Pfaffe, der verkappte Jesuit oder Jansenist, oder was weiß ich, wo-
für Sie ihn halten.“*) Der Erfolg seiner derben, urkräftigen, volkstüm-
lichen Beredsamkeit war beispiellos, und nicht minder fruchtbar seine christ-
liche Liebestätigkeit: den Männer-Krankenverein, das Elisabethkrankenhaus,
eine Menge von Kinderbewahranstalten und Missionsgesellschaften rief er
ins Leben.
In gleichem Sinne wirkte der Freund des Kronprinzen, Otto von Ger-
lach, der auf die Fürbitte seines hohen Gönners eine Predigerstelle in der
Rosenthaler Vorstadt erhielt“"), nachdem der König sich entschlossen hatte,
dort in den beständig wachsenden ärmsten Stadtteilen Berlins vier neue
Kirchen zu erbauen. Da gab es denn geistlicher Arbeit die Fülle; durch
Hausbesuche und Hausandachten, durch Handwerkervereine und Sparkassen,
durch Beschäftigung der Erwerblosen und Verteilung frommer Bücher suchte
der begeisterte junge Seelsorger der Verwilderung der armen Arbeiter des
„Voigtlandes“ entgegenzuwirken. Mit besonderer Sorge betrachtete der
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 14. Jan. 1828, 20. Jan. 1829.
**) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 22. Jan. 1834.