Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

496 IV. 7. Das Junge Deutschland. 
Kronprinzdie Hochburgdespreußischen Rationalismus, die Provinz Sachsen: 
auf keinen Fall sollte der von Altenstein begünstigte Leipziger Großmann 
die Stelle des Bischofs und Generalsuperintendenten in Magdeburg er- 
halten. Ich halte es für undenkbar, schrieb der Prinz, „daß ein Mann, 
der als flacher, herzloser, eitler Rationalist bekannt, dessen nackter Quasi- 
Jakobinismus ihn selbst in Leipzigl zum Gespött seiner Kollegen 
macht, daß solch ein Mann zusolcher Stelle in dieser Provinz vor- 
geschlagen werden und noch viel weniger vom Könige genehmigt werden 
könnte.““) Der Thronfolger erreichte in der Tat, daß Dräseke aus 
Bremen nach Magdeburg berufen wurde. Der neue Bischof riß durch 
seine mächtige Beredsamkeit alle Hörer hin, und als er auf dem Lützener 
Schlachtfelde bei der Enthüllung des Gustav-Adolf-Denkmals die Weihe- 
predigt hielt, da ging ein Jubelruf religiöser Begeisterung durch die vor- 
dem so nüchterne Provinz. 
So begann allmählich ein neuer Geist in das preußische Kirchen- 
regiment einzuziehen. Hengstenbergs Kirchenzeitung sprach schon in einem 
Tone, als ob ihrer Partei allein die Herrschaft über die Kirche zustünde, 
und ihre Macht ward durch die Tübinger Bewegung nur noch befestigt. 
Wenige Monate nach dem Erscheinen des Lebens Jesu schrieb der Kron- 
prinz dem Minister: jetzt scheine es hoch an der Zeit, einen gläubigen Theo- 
logen nach Halle zu berufen, wo Tholuck ganz allein stehe: „Mehr als 
zwei Drittel der jungen Studenten saugen Grundsätze ein, die dem Ra- 
tionalismus (dem Machwerk menschlicher Satzungen und Meinungen), nicht 
aber dem lauteren Worte Gottes angehören, und verpesten mit diesen 
Grundsätzen, ausgesendet und angestellt, als Boten des Heils das ganze 
Land;“ die Berufung Baurs sei ganz unmöglich, denn er habe sich 
neuerdings „den Ansichten eines Dr. Strauß angeschlossen 1/“) 
Überall in Deutschland erstarkten der Pietismus und die Orthodoxie, 
die man allmählich für gleichbedeutend ansah; sie bekämpften die spekula- 
tive Theologie auf Tod und Leben, sie verteidigten bis auf den letzten 
Buchstaben „das Wort und das Wort allein und nichts als das Wort“, 
sie bewährten ihre Kraft in den Werken des praktischen Christentums. 
Während von Basel aus das deutsche Oberland mit einem Netze christ- 
licher Missionsanstalten überspannt wurde und die schwäbischen Pietisten 
in Calw durch geschmacklose Traktätchen, aber auch durch Werke der Barm- 
herzigkeit die gläubigen Gemüter zu gewinnen suchten, erbaute der fromme 
F. W. Krummacher die armen, gequälten Arbeiter des Wuppertales durch 
liebevolle Seelsorge und durch tiefgemütliche Kanzelreden, welche der alte 
Goethe freilich für „narkotische Predigten“ erklärte. Vor den Toren Ham- 
burgs errichtete Hinrich Wichern im Rauhen Hause eine Rettungsanstalt 
— 
*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 15. Nov. 1831. 
*“) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 20. April 1836.
	        
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