Deutsche Carlisten. 505
Diplomatie zu verschaffen; der Prinz ahnte, wieviel Geist und Mut
in diesem Tollkopf lebte, und bat seinen königlichen Vater freimütig,
„daß man jugendlichen Leichtsinn nicht ungerügt hingehen lassen dürfe,
dagegen aber deshalb einen jungen Mann nicht ganz fallen lassen dürfe,
sondern ihm Anleitung zum Ergreifen eines besseren Lebenswandels gäbe.“*)
Die sittenstrengen Minister Ancillon und Rochow wollten von Nachsicht
nichts hören. Lichnowsky mußte ausscheiden und ging zu Don Carlos, der
ihn rasch zum General und Generaladjutanten beförderte. Der Anblick des
kopflosen, in Hoffart und Lippendienst ganz erstarrten Königs ernüchterte
den begeisterten deutschen Royalisten bald; er begann zu fühlen, wie fremd
dies hispanische Wesen unserem freien Weltsinne war. Im Lager der
Cristinos fochten nur vereinzelte Deutsche, so der preußische Ingenieur-
Offizier Höfken; der lernte freilich die spanische Redlichkeit so gründlich
kennen, daß er den Staub des Landes schnell von seinen Füßen schüttelte.
Das Kriegsglück schwankte lange, einmal gelangten die Scharen der
Carlisten bis dicht vor die Tore von Madrid, und durch den langwierigen
Kampf mußten unausbleiblich in beiden Lagern die extremen Parteien
obenauf kommen. Don Carlos war bald nur noch ein Werkzeug in den
Händen fanatischer Priester, er ernannte die allerheiligste Jungfrau dos
Dolores zum Feldmarschall seines Heeres. In Madrid aber wurden die
Liberalen von den radikalen Exaltados überwältigt, bis endlich ein finger-
fertiger „Jongleur“, wie Ancillon ihn nannte'7), der börsenkundige jüdische
Bankier Mendizabal ans Ruder kam und die Aufhebung aller Klöster
durchsetzte (1836). Wunderbare Gerechtigkeit des Schicksals: ein frecher
jüdischer Spieler führte den vernichtenden Schlag gegen diese spanische
Kirche, die sich einst durch die grausame Vertreibung der fleißigen Mauren
und Juden so unvergeßlich schwer versündigt hatte! Nun raste der Kloster-
sturm durch das rechtgläubige Land, wo überall an den Pfeilern der Wall-
fahrtskirchen die wächsernen Ohren, Nasen, Brüste, die Weihgeschenke eines
heidnischen Götzendienstes, in dicken Bündeln hingen, wo jede Vorbedin-
gung eines freien, denkenden, evangelischen Christentums fehlte und nur
die Wahl blieb zwischen der stumpfsinnigen Unterwerfung und der frevel-
haften Gotteslästerung. Der stärkste Pfeiler der alten Kirchenherrschaft
war gebrochen. In dem Gewirr der Verschwörungen, Staatsstreiche,
Soldatenverschwörungen ging auch die neue Verfassung zu Grunde; der
heilige Kodex vom Jahre 1812 trat wieder in Kraft, um alsbald durch
ein drittes Grundgesetz verdrängt zu werden.
Derweil diese Greuel, die unvermeidlichen Folgen der Leidensgeschichte
dreier Jahrhunderte, das spanische Land heimsuchten, trat Palmerston
leichten Herzens alles Völkerrecht mit Füßen. Ein englisches Heer wagte
*) Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 18. Febr. 1837.
*7) Ancillon an Maltzan, 13. Juli 1836.