Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Niederlage des Carlismus. 509 
anzunähern und deren Argwohn gegen Rußland aufzustacheln, da erfuhr 
er die schnödeste Zurückweisung. „Wenn Palmerston an meine Tür klopft“, 
sagte Metternich höhnisch, „dann muß er in den letzten Zügen liegen.“* 
Nur einem Torykabinett wollten die deutschen Mächte Vertrauen schenken; 
aber die Torys gelangten nur einmal, im Herbst 1834, auf wenige Mo- 
nate ans Ruder, ohne die englische Politik in andere Bahnen leiten zu 
können. Palmerston behauptete sich in der Herrschaft, und seit er in seinen 
Reden den Bund der freien Nationen verherrlichte, trugen ihn die Wellen 
der Volksgunst. 
Also von England mit Eifer, von Frankreich nur lau unterstützt, er- 
rangen die Cristinos erst im Jahre 1839 entscheidende Erfolge. Elende 
Ränke und Zwistigkeiten hatten die Kraft der Carlisten längst geschwächt, 
da wurde Don Carlos durch den Verrat eines seiner Generale gezwungen, 
nach Frankreich zu flüchten, wo er in Bourges, dem Wohnsitze des grol- 
lenden legitimistischen Adels, seinen feierlich steifen Hofhalt aufschlug. 
Noch ein Jahr lang suchte der wilde Cabrera, dem die Cristinos die Mutter 
erschossen hatten, den Krieg hinzuhalten; jedoch das Baskenvolk war er- 
schöpft von dem ungleichen Kampfe, weithin durch die Berge klang der 
Ruf Paz 7 kueros. Die Regentin entschloß sich endlich, die Sonderrechte 
der baskischen Provinzen zu bestätigen, und nunmehr wurde die Herrschaft 
der jungen Königin Isabella im ganzen Lande anerkannt. Aber dies neue 
Königtum blieb unrechtmäßig von Haus aus — denn die Rechtsgründe der 
Cristinos wogen sehr leicht — und konnte niemals auf die Empfindung 
angestammter Treue zählen. Das alte Spanien war vernichtet, ein neues 
nicht begründet. Der Carlismus schlummerte, tot war er nicht. Von 
der verheißenen Glückseligkeit des konstitutionellen Lebens zeigte sich keine 
Spur. Das Heer war durch Parteiung zerrissen, die Verwaltung durch- 
aus verderbt. In den Cortes tobte die Amterjagd, am Hofe rangen die 
Gesandten Englands und Frankreichs um die Herrschaft. Wie die Spa- 
nier einst für die Idee des katholischen Weltreichs sich fast verblutet hatten, 
so boten sie jetzt wieder den entsetzlichen Anblick einer lediglich politisieren- 
den Nation. In dem wüsten Gezänk der Parteien ging alle Kraft dieses 
verschwenderisch begabten Volkes auf; für Kunst, Forschung, Volkswirt- 
schaft, für alle schöpferische Kultur blieb nichts übrig. Erst nach Jahr- 
zehntern sollten sichdie schwachen Anfänge eines gesünderen Volkslebens zeigen. 
Was mit diesem unheilvollen Kriege irgend in Berührung kam, ver- 
fiel notwendig dem Fluche der Unwahrheit. Auch die Politik der Ost- 
mächte blieb davon nicht frei; immerhin verfuhren sie ehrlicher, ruhiger 
als die Westmächte. Sie standen mit ihren Wünschen auf Don Carlos' 
Seite, nicht bloß weil er der legitime König war, sondern auch weil sie 
noch immer auf einen Weltkrieg gefaßt sein mußten und für diesen Fall 
  
*) Ancillon an Maltzan, 17. Aug.; Maltzans Bericht, 12. Juni 1835.
	        
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