520 IV. 8. Stille Jahre.
Währenddem begannen die Machtverhältnisse in der Allianz der Ost-
mächte sich zu verändern durch den Tod des Kaisers Franz (2. März 1835).
Wenig genug hatte der alte Herr freilich geleistet in diesen letzten Jahren,
wo er, mißtrauisch gegen sich selber wie gegen jedermann, alle Neuerungs-
vorschläge beiseite zu schieben pflegte mit der gelassenen Bemerkung „dar-
über muß man schlafen.“ Aber die laufenden Geschäfte erledigte er noch
mit seiner gewohnten subalternen Emsigkeit. Er allein hielt die zahlreichen
neben= und übereinander geschichteten Zentralbehörden dieses unförmlichen
Staates zusammen; und obwohl er Metternich in der auswärtigen Politik,
den Grafen Kolowrat in der inneren Verwaltung ziemlich frei gewähren
ließ, so fiel doch keine ernste Entscheidung gegen seinen Befehl, der immer
darauf hinauskam, daß schlechterdings nichts geändert werden dürfe. Was
sollte jetzt werden, da selbst diese mechanisch leitende und hemmende Kraft
des monarchischen Willens fehlte? Der neue Kaiser Ferdinand war grund-
gutmütig, fromm, wohltätig, ehrlich, sogar unterrichtet in einigen jener
Wissenschaften, welche mehr den Spieltrieb als den Wahrheitsdrang be-
friedigen, jedoch ein armer, kaum zurechnungsfähiger epileptischer Kranker,
zum Wollen wie zum Denken gleich unbrauchbar. Darum hatte man
selbst an diesem Hofe, der doch an traurige Monarchen gewöhnt war,
ernstlich erwogen, ob ein solcher Unglücklicher regieren dürfe. Aber sein
Bruder Erzherzog Franz Karl besaß, obwohl nicht krank, auch nur über-
aus bescheidene Fähigkeiten, und dessen Sohn Franz Joseph war noch ein
kleines Kind. Ohne die Mitwirkung des ungarischen Reichstags ließ sich
zudem weder eine Abdankung noch eine förmliche Regentschaft durchsetzen;
und wer sollte unbotmäßigen Reichsständen so schwierige Fragen vorzulegen
wagen? Eben in diesen Jahren begann der magyarische Adel seine na-
tionale Bewegung: er wollte sich selber die Herrschaft über die deutsch-
slawisch-walachische Mehrheit der Bevölkerung Ungarns und zugleich der
Stephanskrone die volle Selbständigkeit neben der Kaiserkrone sichern.
Schon hatte er erreicht, daß die magyarische Sprache, statt des altge-
wohnten neutralen Lateins, fortan im amtlichen Verkehre allein ange-
wendet werden sollte; und als der Palatinus Erzherzog Joseph erkrankte,
da beschloß die Mehrheit der Abgeordneten zu Preßburg insgeheim, ge-
gebenen Falles sofort den Führer der aristokratischen Opposition, den
Grafen Szechenyi zum Palatin zu erwählen.“)
In solcher Lage schien es nicht ratsam, an der unbestreitbaren Erb-
folgeordnung irgend zu rütteln. Der bedauernswerte Thronfolger wurde
von den Ungarn im voraus als König Ferdinand V. gekrönt") und bestieg
vier Jahre darauf den Kaiserthron. Ein Anblick zum Erbarmen, wenn
(Neuchatel 1877) — ein mehr durch groben Parteihaß als durch Zuverlässigkeit ausge-
zeichnetes Buch — geben über alle diese Verhältnisse sehr wenig Auskunft.
*) Maltzans Bericht, 8. Febr. 1836.
*) S. o. IV. 48.