Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

522 IV. 8. Stille Jahre. 
Obgleich Kaiser Franz den Zustand seines Sohnes richtig würdigte, 
so konnte er sich doch niemals entschließen, eine bindende Vorschrift für 
die Formen der künftigen Regierung zu geben. Die Wiener freuten sich 
auf sein Testament, wie die Kinder auf den Weihnachtsbaum. Sie äußer— 
ten laut ihre Enttäuschung, als sie endlich bloß die väterlichen Worte zu 
lesen bekamen: „Meine Liebe vermache ich Meinen Untertanen;“ und 
wer den Reichtum des kaiserlichen Herzens gekannt hatte, konnte diesem 
Vermächtnis allerdings nur einen bescheidenen Wert beilegen. Noch pein— 
licher überrascht waren die Staatsmänner, da sich in dem Testamente nur 
einige ganz allgemein gehaltene politische Lehren vorfanden, obenan natür— 
lich der bewährte Grundsatz: „regiere und verändere nicht.“ Im einzelnen 
wurde dem Thronfolger lediglich anempfohlen, daß er sich an den Rat 
Metternichs und seines Oheims Ludwig halten möge. Erzherzog Ludwig 
war unter den zahlreichen Brüdern des Kaisers Franz der jüngste und weit— 
aus der unfähigste; darum hatte er dem Herzen und dem Kopfe des Ver— 
storbenen immer am nächsten gestanden. Im Kleinen emsig, im Großen 
völlig urteilslos, ähnelte er dem alten Kaiser sehr und machte, obwohl 
er erst fünfzig Jahre zählte, schon den Eindruck eines erstarrten Greises. 
Da also jede feste Vorschrift fehlte, so suchte Metternich, entschlossen und 
gewandt, die Alleinherrschaft an sich zu reißen. Er fühlte längst, daß die ver— 
kommene Verwaltung so nicht dauern konnte, und seit er das unheimliche 
Schauspiel des erstarkenden preußischen Zollvereins vor Augen sah, hielt 
er einzelne Reformen für unerläßlich. Leider fehlte ihm jede Sachkenntnis. 
Was er von Neuerungen plante, konnte wohl den allezeit bereiten Beifall 
Ancillons finden;') im Grunde lief doch alles auf allgemeine Redensarten 
hinaus, ganz wie seine Reformvorschläge vom Jahre 1829.57) Nur für 
die Armee erreichte er mehrere Verbesserungen. Sein Liebling, Graf Clam- 
Martinitz, Berliner Andenkens, wurde zum Generaladjutanten und Chef 
der militärischen Abteilung des Staatsrats ernannt, so daß der berüch- 
tigte bureaukratische Hofkriegsrat etwas von seiner Macht verlor. Ein 
tüchtiger Offizier von streng aristokratischer Gesinnung, bewirkte Clam, daß 
einige von Radetzky verfaßte neue Reglements eingeführt wurden; freilich 
zog er auch in dem Heere einen Geist des Hochmuts groß, den das fried- 
liche alte Osterreich nie gekannt hatte. In Mailand aber durfte Feld- 
marschall Radetzky fortan ziemlich frei schalten, und die Manöver, die er 
mit seinen wohlgeschulten Truppen, den besten der österreichischen Armee, 
bei Verona abzuhalten pflegte, fanden bald allgemeine Anerkennung. 
Gegen die Selbstherrschaft Metternichs erhob sich nun ein zwei- 
facher mächtiger Widerstand. Graf Kolowrat wollte sich die Machtstellung, 
die er bisher in der inneren Verwaltung behauptet hatte, nicht durch einen 
*) Ancillon an Maltzan, 5. Jan. 1837. 
*) S. o. III. 747.
	        
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