48 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Während der Zar also den preußischen Hof mit seinen Kriegsplänen
bestürmte, ließ Kaiser Franz seinen armen Kronprinzen Ferdinand in
Preßburg zum Rex junior Hungariae krönen, damit die nur zu wohl
begründeten Gerüchte über dessen Regierungsunfähigkeit durch die Tat
widerlegt würden. Diesen Anlaß benutzte Nikolaus, um den Grafen Orlow
nach Preßburg zu senden. Metternich empfing den Vertrauten des Zaren
mit offenen Armen, beteuerte lebhaft seine reine Gesinnung: „was die
revolutionäre Regierung fürchtet, das müssen wir lieben; was sie ablehnt,
das müssen wir annehmen.“ Um sich bei dem Selbstherrscher einzu-
schmeicheln, verleumdete er freundnachbarlich den preußischen Hof: nur
Bernstorffs Feigheit und der revolutionäre Geist des preußischen Beamten-
tums trügen die Schuld, wenn der Krieg für das legitime Recht nicht
zustande komme. Indes hütete er sich wohl, irgend eine feste Zusage
zu geben. Die Ostmächte sollten die Gesamtbürgschaft für die Verträge
von 1815 aufrecht halten und für den Notfall in der Stille rüsten —
solche unbestimmte Ratschläge waren alles, was der Russe aus Preß=
burg heimbrachte.
Schon am 28. August, gleich nach dem ersten Brüsseler Aufstande,
sendete der König der Niederlande durch den Adjutanten „de notre
Albert“ einen Hilferuf an den König von Preußen: die Folgen des
Aufruhrs seien nicht zu berechnen; er bitte daher, daß der Gouverneur
der Rheinlande, Prinz Wilhelm der Altere, und seine Generale ange-
wiesen würden, „gemäß den bestehenden Verträgen“ ihm Beistand zu
leisten, sobald er es verlange. Das alles, als verstünde sich's von selber.
Friedrich Wilhelm las den Brief mit Befremden; von solchen Vertrags-
pflichten war ihm nichts bekannt. Er ließ sogleich im Auswärtigen Amte
Nachforschungen anstellen, und da sich ergab, daß Preußen keine beson-
deren Verpflichtungen gegen die Niederlande übernommen hatte, sondern
nur ebenso wie die anderen Mächte des Vierbundes an die Verträge von
1815 gebunden war, so erwiderte er am 9. September seinem königlichen
Schwager: erbetrachtetedie Interessen der beiden Kronen als „unzertrennlich“
und wollte sich mit seinen Verbündeten verständigen; er werde auch Truppen
an den Rhein senden und alles tun, um Frankreich an der Unterstützung
des Aufstandes zuverhindern; abergroße Vorsicht sei nötig, dader französische
Hof erklärt habe, daß auch seine Truppen einrücken würden, falls
ein fremdes Heer Belgien besetze. ) In der Tat wurde das vierte Armee-
korps sofort aus Sachsen an den Rhein gesendet und das rheinische ver-
stärkt. Schon diese ersten schwachen Rüstungen Preußens genügten, um
die Staatsmänner des Palais Royal mit Besorgnis zu erfüllen. Guizot,
*) König Wilhelm der Niederlande an König Friedrich Wilhelm, 28. Aug.
Antwort, 9. Sept. Bernstorff, Protokoll der Beratung über das niederl. Schreiben
1. Sept. 1830, nebst Denkschrift „über die traktatmäßige Verpflichtung Preußens“.