Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

48 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Während der Zar also den preußischen Hof mit seinen Kriegsplänen 
bestürmte, ließ Kaiser Franz seinen armen Kronprinzen Ferdinand in 
Preßburg zum Rex junior Hungariae krönen, damit die nur zu wohl 
begründeten Gerüchte über dessen Regierungsunfähigkeit durch die Tat 
widerlegt würden. Diesen Anlaß benutzte Nikolaus, um den Grafen Orlow 
nach Preßburg zu senden. Metternich empfing den Vertrauten des Zaren 
mit offenen Armen, beteuerte lebhaft seine reine Gesinnung: „was die 
revolutionäre Regierung fürchtet, das müssen wir lieben; was sie ablehnt, 
das müssen wir annehmen.“ Um sich bei dem Selbstherrscher einzu- 
schmeicheln, verleumdete er freundnachbarlich den preußischen Hof: nur 
Bernstorffs Feigheit und der revolutionäre Geist des preußischen Beamten- 
tums trügen die Schuld, wenn der Krieg für das legitime Recht nicht 
zustande komme. Indes hütete er sich wohl, irgend eine feste Zusage 
zu geben. Die Ostmächte sollten die Gesamtbürgschaft für die Verträge 
von 1815 aufrecht halten und für den Notfall in der Stille rüsten — 
solche unbestimmte Ratschläge waren alles, was der Russe aus Preß= 
burg heimbrachte. 
Schon am 28. August, gleich nach dem ersten Brüsseler Aufstande, 
sendete der König der Niederlande durch den Adjutanten „de notre 
Albert“ einen Hilferuf an den König von Preußen: die Folgen des 
Aufruhrs seien nicht zu berechnen; er bitte daher, daß der Gouverneur 
der Rheinlande, Prinz Wilhelm der Altere, und seine Generale ange- 
wiesen würden, „gemäß den bestehenden Verträgen“ ihm Beistand zu 
leisten, sobald er es verlange. Das alles, als verstünde sich's von selber. 
Friedrich Wilhelm las den Brief mit Befremden; von solchen Vertrags- 
pflichten war ihm nichts bekannt. Er ließ sogleich im Auswärtigen Amte 
Nachforschungen anstellen, und da sich ergab, daß Preußen keine beson- 
deren Verpflichtungen gegen die Niederlande übernommen hatte, sondern 
nur ebenso wie die anderen Mächte des Vierbundes an die Verträge von 
1815 gebunden war, so erwiderte er am 9. September seinem königlichen 
Schwager: erbetrachtetedie Interessen der beiden Kronen als „unzertrennlich“ 
und wollte sich mit seinen Verbündeten verständigen; er werde auch Truppen 
an den Rhein senden und alles tun, um Frankreich an der Unterstützung 
des Aufstandes zuverhindern; abergroße Vorsicht sei nötig, dader französische 
Hof erklärt habe, daß auch seine Truppen einrücken würden, falls 
ein fremdes Heer Belgien besetze. ) In der Tat wurde das vierte Armee- 
korps sofort aus Sachsen an den Rhein gesendet und das rheinische ver- 
stärkt. Schon diese ersten schwachen Rüstungen Preußens genügten, um 
die Staatsmänner des Palais Royal mit Besorgnis zu erfüllen. Guizot, 
  
*) König Wilhelm der Niederlande an König Friedrich Wilhelm, 28. Aug. 
Antwort, 9. Sept. Bernstorff, Protokoll der Beratung über das niederl. Schreiben 
1. Sept. 1830, nebst Denkschrift „über die traktatmäßige Verpflichtung Preußens“.
	        
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