Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Deutschlands Armut. 579 
trage seiner Regierung die neuesten Schriften über das amerikanische 
Eisenbahnwesen; die Bücher kosten 17½⅛ Tlr., als aber die Kiste end- 
lich über Havre in Sachsen anlangte, war sie mit einer Frachtrechnung 
von 265 Tlr. 18 Gr. 3 Pf. belastet. Der Schiffsverkehr des Zollvereins 
unterlag jenen plötzlichen, rätselhaften Schwankungen, welche immer das 
Kennzeichen unfertiger Zustände sind. Im Pillauer Hafen waren im 
Jahre 1830 mehr als tausend Schiffe ein-, und ebenso viele ausgegangen; 
dann sank der Verkehr beständig, im Jahre 1834 liefen nur 354 Schiffe 
ein, erst gegen das Ende des Jahrzehnts wurde der frühere Stand wieder 
erreicht. An den Odermündungen erstarkte die Schifferei nach langem 
Siechtum wieder, da die Getreideausfuhr nach England und Amerika zu- 
nahm, und die Raubzüge der Barbaresken seit der Eroberung Algiers auf- 
hörten. Bisher hatte der Stettiner Reeder seine Schiffe nie über Bor- 
deaux hinaus gehen und sie regelmäßig daheim überwintern lassen; fortan 
segelten sie zur Winterszeit, dank den Franzosen, im sicheren Mittelmeere. 
Auf der Elbe fuhren seit 1837 Dampfschiffe zwischen Magdeburg und 
Hamburg; sie beförderten aber bloß Personen, Güter nur nebenbei, auch 
die kräftig anwachsende rheinische Dampfschiffahrt diente noch fast aus- 
schließlich dem Personenverkehre. 
Jetzt, da das Verkehrsbedürfnis überall erwachte, empfanden die 
Deutschen sehr schmerzlich, daß ihr Land in dem klassischen Zeitalter der 
Kanalbauten, im siebzehnten Jahrhundert so ganz verarmt und hilflos 
dagestanden hatte. Deutschland besaß keine Kanäle — mit einziger Aus- 
nahme der Marken und ihrer östlichen Vorlande, denen die Tatkraft des 
großen Kurfürsten und des großen Königs trotz der Ungunst der Zeiten 
einige brauchbare künstliche Wasserwege geschenkt hatte. Der größte Teil 
seines weiten Gebiets sah sich also allein auf den Wagenverkehr angewiesen, 
und die Kosten der Verfrachtung auf der Achse stellten sich auch auf den 
neuen Chausseen noch so hoch, daß umfängliche, schwer ins Gewicht fallende 
Waren, Steine, Kohlen, Holz, selbst das Getreide im Binnenlande nur 
auf kurze Entfernungen versendet werden konnten. Das reiche Leipzig ent- 
behrte noch immer der Bürgersteige, weil man die schweren Granitplatten 
aus den entlegenen Steinbrüchen nur zu unerschwinglichen Preisen her- 
beizuschaffen vermochte. Was frommten der Landwirtschaft die befreien- 
den Agrargesetze, was der Zollverein, solange ihre Erzeugnisse vom großen 
Verkehre fast ausgeschlossen waren? Durch die Fortschritte der Technik 
war der Landbau längst zu einem kunstreichen Gewerbe geworden; und 
der Sachse F. G. Schulze vertrat bereits die Meinung, die der alte Thaer 
noch bekämpft hatte, daß der große Landwirt akademischer Bildung be- 
dürfe. Er gründete in Jena 1826, dann auf dem alten Klostergute Eldena 
bei Greifswald, 1834, landwirtschaftliche Lehranstalten, die mit den be- 
nachbarten Universitäten in Verbindung standen. Der Sprit, den das 
preußische Zollgesetz von 1818 noch gar nicht kannte, galt jetzt schon für 
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