Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

580 IV. 8. Stille Jahre. 
ein wichtiges Brennmittel, die Brennerei ward dem Großgrundbesitzer schon 
wegen der Schlempe und des Düngers unentbehrlich. Der Rübenbau 
nahm zu, und Amtsrat Koppe zu Wollup im Oderbruch, seit Thaers 
Tode wohl der erste Landwirt Norddeutschlands, erwies den Theoretikern 
der Freihandelsschule mit schlagenden Gründen, daß die Erzeugung eines 
unentbehrlichen Genußmittels im eigenen Lande doch keine Künstelei sei, 
sondern eine wirkliche Vermehrung des Volksvermögens. Gleichwohl konnte 
die durchgebildete Arbeitsteilung des Großbetriebs in die Landwirtschaft 
noch nicht recht eindringen. Jedes große Landgut bildete gleichsam einen 
isolierten Staat, der durch wohlberechneten Fruchtwechsel, durch die Ver- 
bindung von Ackerbau und Viehzucht die verlorenen Bodenkräfte stets selber 
neu zu erzeugen suchte. In dieser Kunst, ein Landgut durch sich selber 
zu unterhalten, war Koppe der anerkannte Meister. Für den großen 
Markt zu arbeiten, einzelne Zweige der Landwirtschaft mit virtuoser Ein- 
seitigkeit zu pflegen und die Dungstoffe von auswärts herbeizuschaffen, 
schien selbst dem unternehmenden Grundherrn unmöglich wegen der hohen 
Frachtkosten. 
Und wie dürftig, eng, kleinstädtisch blieb noch immer die Industrie, 
trotz der besseren Zeiten. An Stahl erzeugte ganz Preußen im Jahre 
1826 nur 62 000 Ztr., an Gußstahl 1832 gar nur 94 Ztr. Schienen 
und andere Eisenwaren, die nur mit Cokes hergestellt werden konnten, 
kamen aus England, weil die deutschen Werke meist mit den Holzkohlen 
aus den nahen Waldungen heizten und die Fracht für die Steinkohlen 
nicht zu zahlen vermochten. Von Westfalens mächtigen Steinkohlenlagern 
wurde, wieder wegen der Frachtkosten, nur ein kleiner Teil ausgebeutet. 
Im Bochumer Revier waren 130 Gruben im Betrieb, 400 ruhten; so 
rechnete 1833 Friedrich Harkort, der beliebte Volksmann Westfalens. 
Harkort selbst leitete in Wetter an der Ruhr, Aston in Magdeburg eine 
große Maschinenfabrik. Jedoch im Jahre 1837 besaß Berlin erst 29 Dampf- 
maschinen mit 392 Pferdekräften, ganz Preußen ihrer 419 mit 7355 Pferde- 
kräften; das Wagnis der kostspieligen Anschaffung erschien auch mutigen 
Gewerbtreibenden oft zu groß. Da und dort versuchte man schon eine 
Gewerbeausstellung zu veranstalten, aber wie schwach war die Teilnahme; 
viele Fabrikanten trauten dem neuen Wesen nicht recht, die meisten scheuten 
sich ihre Werke dem rücksichtslosen öffentlichen Urteil auszusetzen. Die 
Breslauer Ausstellung von 1832 fand in einem Stockwerk eines mittel- 
großen Hauses genügend Raum, und der Ausschuß bestimmte 100 Tlr. 
für den Ankauf der auserlesenen Prachtstücke. Bis gegen das Ende des 
Jahrzehntes merkte die Masse des Volkes noch sehr wenig von dem Nahen 
einer neuen Zeit. Der Bauer ging dreimal jährlich in die Stadt auf 
den Jahrmarkt, um neue Stiefel oder was an Werkzeug fehlte, einzu- 
kaufen; in der Tabaksbude fand er den Bedarf für seine lange Pfeife, 
und nebenan hielt, mit der Schwammütze auf dem Kopfe, der vom Volks-
	        
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