Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

584 IV. 8. Stille Jahre. 
nehmen in Gang, Plattner verschaffte das Aktienkapital von 175 000 fl., 
der Ingenieur Paul Denis leitete den Bau. Die Behörden zeigten sich 
wenig günstig, weil sie für den Ludwigs-Kanal fürchteten; die Ansbacher 
Regierung kaufte nur zwei Aktien zu 100 fl. Erst als die Unternehmer 
auf den schlauen Gedanken kamen, ihren Schienenweg Ludwigsbahn zu 
nennen, wurde die amtliche Welt etwas freundlicher. Groß war der Jubel, 
als am 7. Dez. 1835 der erste Bahnzug unter Kanonendonner abfuhr; 
ein Denkstein und ein Geschichtstaler verherrlichten „Deutschlands erste 
Eisenbahn mit Dampfwagen“. Aber mit dieser kleinen, nur für Personen 
bestimmten Stadtbahn, die sich bald mit 6 % verzinste, war die Frage 
nach der Möglichkeit großer Eisenbahnen noch nicht beantwortet. 
Alle diese wohlgemeinten Entwürfe waren doch nur auf das Wohl 
einzelner Städte oder Landschaften berechnet, und fast schien es, als sollten 
die Deutschen durch den Fluch ihres Partikularismus verhindert werden, 
die große Erfindung mit großem Sinne zu benutzen. Da trat Friedrich 
List hervor mit dem Plane eines zusammenhängenden, ganz Deutschland 
umfassenden Eisenbahnnetzes und zeigte durch die Tat, durch die glück- 
liche Vollendung einer großen Bahnlinie, daß sein den Durchschnitts- 
menschen fast unfaßbares Ideal sich verwirklichen ließ. Als der Bahn- 
brecher des deutschen Eisenbahnwesens erwarb er sich sein größtes Ver- 
dienst um die Nation, seine Stellung in der vaterländischen Geschichte. 
Als er vor Jahren für die deutsche Zolleinheit gearbeitet, hatte er doch 
nur mutig ausgesprochen, was die Mehrzahl der Zeitgenossen schon er- 
sehnte, und in der Wahl der Mittel vielfach fehlgegriffen; jetzt aber, mit 
seinen Eisenbahnplänen, eilte er allen Landsleuten weit voraus und be- 
währte überall die geniale Sicherheit seines Seherblicks. Nach seiner Flucht 
vom Hohenasperge hatte er mehrere Jahre in Nordamerika verbracht, und 
dort, in den glücklichsten Zeiten der jungen Union, ging ihm ein neues 
Licht auf; er sah das gewaltige Ringen des Menschengeistes mit der Macht 
der Elemente, eine Kühnheit der Unternehmungslust, wovon sein stilles 
Vaterland sich noch nichts träumen ließ; er sah die vornehmsten und höchst- 
gebildeten Männer der Nation ihre beste Kraft der Volkswirtschaft wid- 
men, was daheim im Lande der Gelehrten und Beamten ganz unmöglich 
war. Derweil er in den Blauen Bergen nach Kohlenminen suchte, träumte 
der arme Flüchtling von einem deutschen Eisenbahnsystem und sagte: „Im 
Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutschland.“ 
Zur Zeit der Juli-Revolution kehrte er zurück, ungastlich empfangen 
von der alten Heimat. Der Hamburger Senat trug Bedenken, den ver- 
rufenen Demagogen als amerikanischen Konsul anzuerkennen, die Kauf- 
herren aber zuckten die Achseln, als er von seinen Bahnplänen sprach; 
denn soeben hatte ihnen der Engländer Elliot bewiesen, in Deutschland sei 
nur eine einzige Eisenbahn möglich, die Bahn von Hamburg nach Han- 
nover, und daß ein Deutscher gegen einen Briten unmöglich recht haben
	        
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