Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Lists deutscher Eisenbahnplan. 585 
konnte, verstand sich in dieser Stadt der künstlichen Engländer ganz von 
selbst. Bei König Ludwig klopfte er ebenso vergeblich an; er suchte ihm zu 
beweisen, ein Kanal vermöge doch nur gegebene Punkte zu verbinden, wäh— 
rend die Eisenbahnen ein zusammenhängendes Netz bilden könnten, auch 
sei die ersehnte Verbindung zwischen der Nordsee und dem Schwarzen 
Meere ja schon längst vorhanden, der beste Weg führe durch die Straße 
von Gibraltar. Zugleich arbeitete er unermüdlich für die Zeitungen und 
nannte sich selbst gern Dr. Möser den Jüngeren; seine Kunst, schwere 
volkswirtschaftliche Fragen leicht, lebendig, anschaulich zu behandeln, er— 
innerte in der Tat an Justus Mösers schalkhafte Weise, nur daß bei 
dem streitbaren Schwaben die Leidenschaft immer wieder durchbrach. Wenig 
gelehrt, aber reich gebildet und im Leben erfahren, überragte er alle an— 
deren volkswirtschaftlichen Publizisten so weit wie sein Landsmann Paul 
Pfizer die politischen. Die herrschende abstrakte Freihandelsdoktrin, die 
sich gleich der Naturrechtslehre einen durch Naturgesetze bedingten Normal- 
zustand der Volkswirtschaft konstruierte, ward ihm immer verhaßter. Er 
begann schon das wirtschaftliche Leben historisch zu betrachten, wie Savigny 
das Recht, und suchte die Gesetze der Volkswirtschaftspolitik aus den wech- 
selnden sozialen Zuständen abzuleiten. 
Ein gütiges Geschick führte ihn endlich nach Leipzig, eben in dem 
Augenblicke, da die Bürgerschaft dem Anschluß an den Zollverein entgegen- 
sah und, ohne Wasserstraßen wie sie war, ängstlich nach neuen Verkehrs- 
wegen suchte. Hier oder nirgends, das sah er auf den ersten Blick, mußte 
der Grundstein des deutschen Eisenbahnnetzes gelegt werden; wenn hier 
mit den Kapitalien der bedrängten reichen Handelsstadt eine große Ver- 
kehrsbahn entstand, so konnte ihr in dem gewerbreichen Lande der Erfolg 
nicht fehlen, und der Anschluß neuer Bahnen nach dem Norden und Westen 
ergab sich dann fast von selbst aus Leipzigs zentraler Lage. Die wohl- 
wollende sächsische Regierung gestattete ihm den Aufenthalt, unbekümmert 
um die Warnungen der Wiener Hofburg und des unversöhnlichen Königs 
von Württemberg.) Sofort ließ er nun sein Büchlein „über ein sächsisches 
Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahn- 
systems“ (1833) erscheinen. In großen Zügen entwarf er hier, mit wunder- 
barem Scharfblick fast überall das Rechte treffend, ein Bild von dem 
Eisenbahnwesen der Zukunft: Lindau und Basel, Bremen und Hamburg, 
Stettin, Danzig und Breslau sollten vorläufig die Endpunkte des deut- 
schen Bahnnetzes bilden, ganz wie es sich nachher erfüllte. In Berlin, 
das er nur oberflächlich kannte, sah er doch schon den Mittelpunkt des 
deutschen Verkehrs; sechs große Bahnlinien, die allesamt späterhin ge- 
baut worden sind, wollte er dort einmünden lassen. Sein Plan galt nur 
dem Zollvereine und dessen Vorlanden; Österreich ließ er, mit Ausnahme 
  
*) Frankenbergs Bericht, 20. Jan. 1835.
	        
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