590 IV. 8. Stille Jahre.
als die eigentlichen Volksmänner. Die Magdeburger rühmten sich: unsere
Eisenbahn nach Leipzig wird die erste Bahn der Welt sein, welche die
Grenzen verschiedener Staaten durchschneidet! Francke trat an die Spitze
eines Ausschusses und sendete nach Berlin eine Eingabe, welche das Mini—
sterium zwang, die Eisenbahnfrage ernstlich ins Auge zu fassen. So
brachte List auch in Preußen die Kugel ins Rollen.
Mehrere andere Anfragen lagen bereits vor, wegen der Bahnen
Berlin-Potsdam, Köln-Aachen, Düsseldorf-Elberfeld, Düsseldorf-Minden,
Berlin-Stettin, und es ließ sich jetzt schon erkennen, daß der preußische
Verkehr vornehmlich einer rascheren Verbindung des Ostens mit dem
Westen bedurfte; die von Bayern befürwortete nord-südliche Linie erschien
zunächst noch minder dringend. Minister Rother aber konnte zu keinem
der Entwürfe ein Zutrauen fassen. Während fast jedermann noch glaubte,
die Eisenbahnen seien Wege wie andere auch, für alle benutzbar, und
könnten den Unternehmern nur ein hohes Wegegeld einbringen, erkannte
der welterfahrene Bankdirektor sogleich, daß die Eisenbahngesellschaften das
gesamte Transportgeschäft auf ihren Linien an sich reißen würden; ein
solches Vorrecht wollte er Privatgenossenschaften nicht gewähren, er fürchtete
den Mißbrauch des Monopols und einen schlimmen Aktienschwindel. Aber
auch der Staatsbau schien ihm nicht ratsam, denn er bezweifelte noch
die Einträglichkeit der Eisenbahnen und hielt den Staat für verpflichtet,
weder die Post noch die bestehenden Land= und Wasserstraßen zu schädigen.
Sogar politische Besorgnisse stiegen ihm auf: durch die Bahnen nach dem
Rhein, nach Bayern, nach Belgien werde Preußen vom Auslande ab-
hängig. Daher schloß er seinen Bericht an den König mit der Erklärung:
„die Staatsregierung hat jetzt noch keine Veranlassung, Eisenbahnen, welche
als Handelsstraßen dienen sollen, auf eigene Kosten anzulegen, durch Be-
teiligung mit verhältnismäßig ansehnlichen Summen zu unterstützen oder
ihnen andere namhafte Opfer zu bringen und Vorrechte einzuräumen.“)
Verhielt sich Rother nur kühl zuwartend, so trat der Generalpost-
meister Nagler als entschiedener Feind der Eisenbahnen auf. Er hatte seit
Jahren das Postwesen mit glänzendem Erfolge ausgebildet und hoffte für
Seiner Majestät Fahrpost noch Größeres zu erreichen; was konnte er in
dieser neuen Erfindung anderes sehen als eine schnöde Gewerbsbeeinträch-
tigung? Auch das strenge Rechtsgefühl des Beamtentums erhob mannig-
fache Bedenken. Nach dem Gesetze sollte die Enteignung nur ausnahms-
weise, um des öffentlichen Wohles willen, zugelassen werden, für die Chausseen
und für solche Eisenbahnen, welche den Staatszwecken dienten, wie etwa
für die Magdeburg-Leipziger, konnte man sie also mit gutem Gewissen be-
nutzen, so meinten die alten gestrengen Richter. Aber war es statthaft,
das Expropriationsrecht auch der geplanten Berlin-Potsdamer Bahn zu
*) Rothers Immediatbericht, 16. Aug. 1835.