Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Beratungen über das preußische Eisenbahngesetz. 591 
verleihen, die doch nur den frivolen Zweck verfolgte, den Berlinern das 
Lustwandeln in den Potsdamer Gärten zu erleichtern?*) Der König selbst 
zeigte sich den Eisenbahnen anfangs abgünstig; er war zu alt, um sich noch 
für eine Erfindung zu erwärmen, welche die Freude seiner letzten Jahre, 
den Chausseebau zu stören drohte. Auch der durchaus demokratische Cha— 
rakter dieses neuen Verkehrsmittels kam ihm ungelegen. Seit Jahrtau— 
senden hatte das schnelle Reisen für ein natürliches Vorrecht der Fürsten 
und der Aristokratie gegolten; und diese uralten Sitten sollten sich jetzt 
mit einem Schlage ändern! So schlicht bürgerlich er auch dachte: daß er 
mit seinen Berlinern zusammen in demselben Zuge nach Potsdam fahren 
sollte, schien ihm doch sehr unanständig. 
Der Thronfolger dagegen schwärmte für die Eisenbahnen, noch weit 
feuriger sogar als sein Schwager König Ludwig. Es zählte zu den vielen 
Rätseln dieses so seltsam gemischten reichen Geistes, daß der Kronprinz 
die nüchternen Angelegenheiten der Volkswirtschaft, die seiner romantischen 
Weltanschauung so fern zu liegen schienen, immer mit besonderem Eifer 
verfolgte und überraschend richtig beurteilte. Wie er den Zollverein stets 
gegen die Sparsamkeit der Finanzpartei verteidigt hatte, so glaubte er 
auch fest an die große Zukunft der Eisenbahnen; er wollte die Bahnen am 
liebsten von Staats wegen bauen oder doch die Privatbahnen durch Zins- 
garantien, durch die erleichterte Enteignung und andere Vorrechte unter- 
stützen. Da der Thronfolger so stürmisch drängte und die Anfragen der 
Eisenbahngesellschaften sich mehrten, so befahl der König eine gründliche 
Beratung über ein umfassendes Eisenbahngesetz, das die Stellung der 
Staatsgewalt zu der neuen Erfindung endgültig regeln sollte. 
Die Verhandlungen währten sehr lange. Eine Kommission aus Räten 
aller Ministerien ward gebildet; der Kriegsminister sendete einen seiner 
besten Offiziere, den gelehrten Oberst Peucker. Dann beriet das Staats- 
ministerium, endlich noch der Staatsrat. Der Streit ward sehr lebhaft; 
die alten Minister hegten Zweifel, die jüngeren, Rochow, Mühler, Alvens- 
leben hielten zu dem Kronprinzen, weil sie der Zukunft vertrauten. Es kam 
soweit, daß Rother nach einem heftigen Wortwechsel mit dem Thronfolger im 
April 1837 die Leitung der Handelspolitik niederlegte. Er beschränkte seine 
Tätigkeit fortan auf die Seehandlung und auf die Bank, die er seit 
Frieses Abgang übernommen hatte; das Handelsamt wurde wieder mit 
dem Finanzministerium vereinigt.) Der Gegenstand war noch so neu, 
so unberechenbar, so gänzlich unerprobt, daß niemand sich einen Sach- 
kenner nennen durfte, und die tüchtigsten Männer in ihren Meinungen sehr 
weit auseinander gingen. Der geniale Beuth, der doch noch in seinen 
  
*) Frankenbergs Bericht, 4. Febr. 1836. 
*#) Berichte von Münchhausen, 8., 11. April, von Frankenberg, 11. April, 11. Sep- 
tember 1837.
	        
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