Das preußische Eisenbahngesetz. 593
Aus solchen Erwägungen entstand, noch bevor die erste große deutsche
Eisenbahn vollendet war, das preußische Eisenbahngesetz vom 3. Nov. 1838,
eines der letzten denkwürdigen Werke des alten Beamtenstaates, ein Gesetz,
das zur Regelung ganz unbekannter Verhältnisse bestimmt war, und doch
ein halbes Jahrhundert voll ungeahnter Wandlungen lebenskräftig über-
dauert hat.5) Seine Stärke lag darin, daß die Staatsgewalt sich ein sehr
weit ausgedehntes Aufsichtsrecht über die Privatbahnen, auch die Möglich-
keit eines künftigen Staatseisenbahnsystems vorbehielt und doch sich weislich
hütete, durch gehäufte Einzelvorschriften einer noch nicht übersehbaren Ent-
wicklung vorzugreifen. Alle Eisenbahnen unterlagen der königlichen Geneh-
migung, desgleichen im einzelnen die Bahnlinie, der Bau der Bahn und
seine Fristen, die Einrichtung der Wagen und Maschinen; siemußten jederzeit
in sicherem und dem Zwecke entsprechenden Zustande erhalten werden. Der
Staat erteilte ihnen das Recht der Enteignung, wie den Chausseen, er
prüfte ihre Rechnungen und beaufsichtigte sie durch ständige Kommissäre.
Er behielt sich vor, die Bahnen nach dreißig Jahren anzukaufen, und be-
legte sie mit einer noch näher zu bestimmenden Steuer, welche teils zur
Amortisation des Aktienkapitals, teils zur Entschädigung der Post dienen
sollte. Die Höhe dieser Entschädigung blieb auch noch vorbehalten; vor-
läufig schloß man mit den einzelnen Bahnen besondere Verträge und ver-
pflichtete alle zur unentgeltlichen Beförderung der Postsendungen — eine
wohlberechtigte Vorschrift, welche allein der Post ermöglichte, auch unter
veränderten Verhältnissen ihre kulturfördernde Arbeit zu vollziehen, doch
freilich in der Folge zahlreiche, noch heute nicht beendigte Zwistigkeiten
hervorrufen sollte. Außerdem behielt die Krone das Recht, die Bestim-
mungen des Gesetzes nach freiem Ermessen abzuändern oder zu ergänzen,
und die bestehenden Gesellschaften mußten sich im voraus solchen Ande-
rungen unterwerfen. Also war dem Monopolgeiste ein starker Riegel vor-
geschoben. Die Geschäftswelt klagte über die unmäßige Bevormundung;
Hansemann veröffentlichte eine scharfe Kritik und beschwor die Regierung,
die Kapitalien des In= und Auslandes nicht abzuschrecken. Aber die dehn-
baren Vorschriften wurden verständig gehandhabt, und sie genügten für
eine Reihe von Jahren, solange der Staat noch nicht in der Lage war,
selber den Bahnbetrieb zu übernehmen.
Inzwischen hatte auch in Preußen der Bahnbau begonnen. Zuerst
wurde die kleine Strecke von Düsseldorf nach Erkrath eröffnet; dann folgte,
noch im Jahre 1838, die Berlin-Potsdamer Bahn, und groß war das
Erstaunen, als dort täglich 2000, an Festtagen sogar 4000 Menschen ver-
kehrten. Schon nach Jahresfrist mußte man dieser Gesellschaft gestatten,
daß ihre Züge auch in der Dunkelheit fahren durften, natürlich langsam
und unter mannigfachen Vorsichtsmaßregeln. Dem Könige war das neue
.“
*) Kabinettsordre an Müffling, 3. Nov. 1838.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 38