594 IV. 8. Stille Jahre.
Wesen noch immer nicht recht geheuer; er fuhr noch eine Zeitlang in
seinem Wagen neben der Bahn her. Dann merkte er doch, daß selbst
seine edlen Trakehner Rappen mit der Lokomotive nicht Schritt halten
konnten, und eines Tages erfuhren die Berliner zu ihrer freudigen Über-
raschung, Seine Majestät sei heute früh mit dem Bahnzuge nach Potsdam
gereist. Die Magdeburger Kaufmannschaft rührte sich kräftig. Derweil
die Leipziger Bahn in Angriff genommen wurde, begannen schon erfolg-
reiche Vorarbeiten für eine zweite Linie über Köthen nach Berlin und zu-
gleich Verhandlungen wegen einer dritten Bahn nach Hamburg. Dort
freilich zeigte sich der Senat sehr ängstlich, er fürchtete die Abnahme der
Elbschiffahrt und die Verarmung der Schiffer.)
Sehr lange währten die Vorbereitungen für die wichtige Bahn von
Köln zur belgischen Grenze. Da mußten sich erst zwei streitende Gesell-
schaften verschmelzen. Dazwischen hinein spielten widerwärtige Verhand-
lungen mit dem Brüsseler Hofe, der damals, aufgestachelt durch die West-
mächte, dem preußischen Nachbarn eine wenig freundliche Gesinnung zeigte
und, dem Geiste der Neutralität zuwider, schon an eine umfassende Be-
festigung seiner Ostgrenze dachte. Der König schrieb deshalb selbst an
König Leopold und drohte mit dem Abbruch der diplomatischen Verbin-
dungen (1837). Trotzdem ließ er, auf Werthers verständigen Rat und
die dringenden Bitten König Ludwigs von Bayern, den Plan der Köln-
Antwerpener Eisenbahn nicht fallen. Die Bahn war zu wertvoll, nicht
bloß für den Handel der Rheinlande, sondern auch für die deutsche Politik:
sie sollte Hollands allzeit unberechenbare Zölle umgehen und das belgische
Land fester an Deutschland anschließen, da die Brüssel-Pariser Eisenbahn
immer noch nicht fertig wurde.##) Endlich lenkte Belgien ein, und man ward
handelseinig. Im August 1839, am Vorabend des königlichen Geburts-
tages, eröffnete Ammon, der Vorsitzende der neuen Gesellschaft, die erste
Bahnstrecke. Er wußte, wie lebhaft Rother und mehrere der anderen
Minister die Abhängigkeit vom Auslande fürchteten, und sagte darum in
seiner Festrede stolz: „die deutsche Treue beruht auf festem Grunde, auf
der angestammten Liebe zu König und Vaterland, auf der klaren Erkenntnis
unserer nationalen Vorzüge, unserer sittlichen Volkswürde.“ Unterdessen
berieten die Kölner schon über die unentbehrliche große Eisenbahn nach
dem Osten, nach Minden und Magdeburg.
Ungeheuer war der Umschwung. Die Eisenverzehrung des Zollver-
eins stieg in den Jahren 1834—1841 von 10,6 auf 18,1 Pfund für den
Kopf der Bevölkerung, an Schienen, Roh-, Stab= und Schmiedeeisen wur-
den im Jahre 1834 erst 367000 Ztr. eingeführt, 1840 schon 1,203 Mill.;
*) Bergers Bericht, 24. Nov. 1838.
*“) Werthers Berichte an den König, 27. Juni, 7. Okt.; Berichte von Münch-
hausen, 23. April, von Dönhoff, 29. Mai 1837.