Süddeutsche Eisenbahnen. 595
denn leider mußte man die Schienen noch aus dem Auslande beziehen.
Wie die Welt sich verwandelte, das lehrte das tragikomische Beispiel des
Generalpostmeisters Nagler. Dieser Todfeind der Eisenbahnen wollte jetzt,
nach seiner Niederlage (1839), selber mit den Mitteln der königlichen Post
eine Bahn von Halle durch die Goldene Aue nach Kassel bauen, mit
Zweigbahnen nach Erfurt, Weimar, Gotha, und sie zum Besten des Post—
fiskus verwalten. Rother empfahl den Plan dem Könige aufs wärmste,
da Post und Eisenbahnen eigentlich denselben Zweck verfolgten. Die an-
deren Minister jedoch erklärten sich dawider. Sie wollten das Monopol
der Post nicht noch erweitern; und welch eine partikularistische Torheit,
die uralte Handelsstraße, die durch das innere Thüringen über Erfurt
und Gotha führte, absichtlich zu umgehen, bloß weil der Weg durch die
Goldene Aue mehr preußisches Gebiet berührte!7)
Als nunmehr auch Frankfurt in die Eisenbahnbewegung eintrat,
da zeigten sich schon die dunklen Schattenseiten der neuen Erfindung.
Eine Uneigennützigkeit, wie sie die Leipziger und die Magdeburger Kauf-
leute bewiesen hatten, ließ sich von der Residenzstadt Rothschilds nicht
erwarten; dort wurde der Kaufmannsgeist nicht durch eine monarchische
Gewalt gezähmt. Schon die Frage, auf welchem Ufer des Mains die ge-
plante Frankfurt-Mainzer Eisenbahn angelegt werden sollte, verursachte
ärgerlichen Zwist. Nassau verlangte den Bau auf dem dichter bevölkerten
rechten Mainufer, Hessen begünstigte sein linkes Ufer; und der Bundes-
tag erlaubte nicht, daß die Mainzer Festungsbehörden sich unmittelbar mit
der Gesellschaft verständigten, obwohl der Festungsingenieur, der preußische
Major Pientka sogleich ein treffliches Gutachten abgegeben hatte.*) Nach
langem Streite ward endlich beschlossen, die Bahn auf dem rechten Ufer
zwischen Frankfurt und Castel auszuführen (1838); denn eine Überbrückung
des Rheins galt noch für unmöglich. Nun bot das gefällige Komitee dem
hessischen Minister du Thil Aktien zum Kaufe an. Du Thil weigerte sich,
und auch Großherzog Ludwig erklärte: „ich weise das weit weg,“ sobald ihn
sein erfahrener Minister über die menschenfreundlichen Absichten der Un-
ternehmer aufgeklärt hatte. Nur der Geh. Rat Knapp ging in die Falle
und mußte dann, nach einer heftigen Interpellation in der Kammer, aus
dem hessischen Ministerium ausscheiden. Nachher wollte Rothschild die hes-
sische Regierung zwingen, den Plan binnen sechs Wochen zu genehmigen,
weil er für seine Spekulationen den Zeitpunkt der Ausgabe der Aktien
genau vorher wissen mußte. Auch diese Zumutung wies du Thil entrüstet
zurück. So hielt sich Hessen die Frankfurter Börsenmänner tapfer vom
Leibe. In Nassau aber war der Präsident Magdeburg „Komitee und Re-
*7) Rother, Denkschrift über die Eisenbahnen, dem Könige eingereicht Dez. 1839.
Frankenbergs Bericht, 25. Nov. 1839.
**) Berichte von Galen, 15. März, 3. Juni, von Sydow, 7. November 1837, von
Schöler, 22. Juni 1838.
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