Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Mazzini in der Schweiz. 601 
burschen in Paris und der Schweiz ging nach und nach in das Lager des 
extremen Radikalismus über. Ein solcher Umschwung ließ sich nur durch 
das soziale Unbehagen erklären, da politische Sorgen diese Volksschichten 
wenig bekümmern. Handwerksgesellen bildeten den Stamm des Jungen 
Deutschlands, das sich im Jahre 1834 mit Mazzinis Jungem Europa 
förmlich verbrüderte und den Wahlspruch führte: Freiheit, Gleichheit, Huma- 
nität. Mazzini selbst stand freilich auf einer Höhe, welche die Blicke der 
kleinen Leute kaum erreichen konnten. Sein leitender Gedanke war die 
Idee der Nationalität, und weil er diese lebendige Macht des neuen Jahr- 
hunderts mit Leidenschaft ergriff, darum wirkte er tiefer, dauerhafter als 
alle anderen Demagogen des Zeitalters. Er sagte sich feierlich los von 
dem Weltbürgertum der alten Carbonari und ihrer Pariser Hohen Venta. 
In der Schrift Foi et Avenir, die er zur Antwort auf die französischen 
Septembergesetze (1835) erscheinen ließ, verherrlichte er zwar den Aufruhr, 
den Kampf bis aufs Messer wider die bestehenden Gewalten, den Bund 
der Unterdrückten gegen die Unterdrücker; aber nicht die Menschenrechte 
der Jakobiner sollten den Bürger begeistern, sondern der Gedanke der 
Pflicht, der Hingebung, des Martyriums für das Vaterland; nicht die 
individualistische Demokratie von 1789 sollte die Freiheit verwirklichen, 
sondern ein soziales Regiment, das jede Menschenkraft in den Dienst des 
Volkes, des Königs der Zukunft zwinge. Die französische Revolution er- 
drückt uns, so rief er aus, wir äffen bisher nur dem Gebaren unserer 
Bäter nach und müssen uns als religiöse Partei wieder erheben; „wir 
glauben an die heilige Allianz der Völker, wir glauben an die Freiheit 
und Gleichheit der Völker, wir glauben an die Nationalität, das Gewissen 
der Völker, wir glauben an das heilige Vaterland. Glauben und Tat! 
Uns gehört die Zukunft!“ Dies mystische Evangelium der Verbrüderung 
gleichberechtigter Völker drang in mannigfachen Bearbeitungen weithin 
durch die Welt und entflammte nicht bloß die Italiener, sondern auch die 
unfertigen Nationen des Ostens, Magyaren, Tschechen, Serben, Rumänier. 
Als Mittel zum Zweck hieß Mazzini jede Aufwiegelung willkommen; 
er hatte nichts dawider, wenn die Gebildeten unter den deutschen Flücht- 
lingen, die sich in Biel und Zürich zusammenfanden, ihre Landsleute aus 
dem Handwerkerstande durch rohe Brandschriften bearbeiteten. Es waren 
meist alte Burschenschafter aus der Schule der Unbedingten: der Göttinger 
Rauschenplatt, der Frankfurter Sauerwein, dann der Braunschweiger Fein 
und der Hesse Karl Becker, beide berühmt als cynische Weltweise, denen 
das Waschbecken und die Seife ebenso verächtlich schienen wie das Hals- 
tuch und die Weste. Auch der Bundestagsdieb Gustav Kombst fand sich 
ein und erklärte, ganz im Geiste Follens: wir Revolutionäre benutzen jedes 
Mittel, was unserer Überzeugung nicht widerspricht. In diesen Kreisen 
entstand eine Zeitschrift „das Nordlicht“, deren Sprache an Deutlichkeit 
nichts zu wünschen übrig ließ: „Ihr Arbeiter, Handwerker und Bauern,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.