Mazzini in der Schweiz. 601
burschen in Paris und der Schweiz ging nach und nach in das Lager des
extremen Radikalismus über. Ein solcher Umschwung ließ sich nur durch
das soziale Unbehagen erklären, da politische Sorgen diese Volksschichten
wenig bekümmern. Handwerksgesellen bildeten den Stamm des Jungen
Deutschlands, das sich im Jahre 1834 mit Mazzinis Jungem Europa
förmlich verbrüderte und den Wahlspruch führte: Freiheit, Gleichheit, Huma-
nität. Mazzini selbst stand freilich auf einer Höhe, welche die Blicke der
kleinen Leute kaum erreichen konnten. Sein leitender Gedanke war die
Idee der Nationalität, und weil er diese lebendige Macht des neuen Jahr-
hunderts mit Leidenschaft ergriff, darum wirkte er tiefer, dauerhafter als
alle anderen Demagogen des Zeitalters. Er sagte sich feierlich los von
dem Weltbürgertum der alten Carbonari und ihrer Pariser Hohen Venta.
In der Schrift Foi et Avenir, die er zur Antwort auf die französischen
Septembergesetze (1835) erscheinen ließ, verherrlichte er zwar den Aufruhr,
den Kampf bis aufs Messer wider die bestehenden Gewalten, den Bund
der Unterdrückten gegen die Unterdrücker; aber nicht die Menschenrechte
der Jakobiner sollten den Bürger begeistern, sondern der Gedanke der
Pflicht, der Hingebung, des Martyriums für das Vaterland; nicht die
individualistische Demokratie von 1789 sollte die Freiheit verwirklichen,
sondern ein soziales Regiment, das jede Menschenkraft in den Dienst des
Volkes, des Königs der Zukunft zwinge. Die französische Revolution er-
drückt uns, so rief er aus, wir äffen bisher nur dem Gebaren unserer
Bäter nach und müssen uns als religiöse Partei wieder erheben; „wir
glauben an die heilige Allianz der Völker, wir glauben an die Freiheit
und Gleichheit der Völker, wir glauben an die Nationalität, das Gewissen
der Völker, wir glauben an das heilige Vaterland. Glauben und Tat!
Uns gehört die Zukunft!“ Dies mystische Evangelium der Verbrüderung
gleichberechtigter Völker drang in mannigfachen Bearbeitungen weithin
durch die Welt und entflammte nicht bloß die Italiener, sondern auch die
unfertigen Nationen des Ostens, Magyaren, Tschechen, Serben, Rumänier.
Als Mittel zum Zweck hieß Mazzini jede Aufwiegelung willkommen;
er hatte nichts dawider, wenn die Gebildeten unter den deutschen Flücht-
lingen, die sich in Biel und Zürich zusammenfanden, ihre Landsleute aus
dem Handwerkerstande durch rohe Brandschriften bearbeiteten. Es waren
meist alte Burschenschafter aus der Schule der Unbedingten: der Göttinger
Rauschenplatt, der Frankfurter Sauerwein, dann der Braunschweiger Fein
und der Hesse Karl Becker, beide berühmt als cynische Weltweise, denen
das Waschbecken und die Seife ebenso verächtlich schienen wie das Hals-
tuch und die Weste. Auch der Bundestagsdieb Gustav Kombst fand sich
ein und erklärte, ganz im Geiste Follens: wir Revolutionäre benutzen jedes
Mittel, was unserer Überzeugung nicht widerspricht. In diesen Kreisen
entstand eine Zeitschrift „das Nordlicht“, deren Sprache an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig ließ: „Ihr Arbeiter, Handwerker und Bauern,