Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

618 IV. 8. Stille Jahre. 
rat Knapp — denn der Name: Partei hatte in den Kreisen des Beamten— 
tums noch einen bösen Klang — und verlangte, daß der Redner zur 
Ordnung gerufen würde. Als die Mehrheit dies Begehren abschlug, ver— 
ließen die Regierungskommissäre den Saal, und am nächsten Tage wurde 
die Kammer aufgelöst (25. Okt.). Du Thil war von seinem Rechte tief 
überzeugt und sagte in einer Proklamation an das Volk: „Ein Mitglied 
der zweiten Kammer erlaubte sich einen so beleidigenden und herabwür— 
digenden Ausfall, daß dadurch das Ansehen und die Achtung, die jede 
Regierung anzusprechen hat, im höchsten Grade gefährdet war.“ 
Der preußische Geschäftsträger Heinrich von Arnim, der noch ganz in 
den politischen Anschauungen seines Freundes, des Kronprinzen lebte, schrieb 
frohlockend: „nach der gottvergessenen Idee der Volkssouveränität“ bedeute 
die Auflösung des Landtages eine Appellationa n das Volk; durch die wieder- 
holte Auflösung sei dieser Wahn jetzt tatsächlich widerlegt. Auch Ancillon 
erklärte sich einverstanden?), und in der Tat war nunmehr „der Hydra 
der Kopf abgeschlagen“, wie du Thil sagte. Die neuen Wahlen fielen zu 
Gunsten der Regierung aus, und vierzehn Jahre hindurch gebot der dauer- 
hafteste aller deutschen konstitutionellen Minister fortan über eine er- 
gebene Mehrheit. Selbst die Enthüllung des Thorwaldsenschen Guten- 
berg-Standbildes in Mainz (1837), ein Fest, vor dem sich der Hof leb- 
haft fürchtete, verlief in Frieden, obwohl viele unheimliche Demagogen her- 
beigekommen waren. Die Macht der Regierung schien für den Augenblick 
so fest zu stehen, daß im Jahre 1838 zwei Führer der Opposition, Gagern 
und Langer, entmutigt aus der Kammer austraten. — 
Weit ernster war die Lage in Kurhessen. Wie richtig hatte doch 
Motz über seine Heimat geurteilt, als er einst, lange vor den Julitagen, 
voraussagte, von Braunschweig und Kurhessen würde die deutsche Revo- 
lution ausgehen. In Braunschweig war jetzt das Feuer gelöscht, das Kur- 
fürstentum blieb des Deutschen Bundes Unglückskind. Selbst der neue 
preußische Gesandte, Frhr. von Canitz, der dem geistreichen Berliner Freun- 
deskreise des Kronprinzen angehörte und als geborener Hesse gern nach- 
sichtig urteilte, mußte schließlich gestehen: das Land sei nicht schlecht ge- 
sinnt, die Opposition ungefährlich; die einzige Gefahr liege in der Person 
des Prinzregenten, die dem Braunschweiger Karl nur zu ähnlich sei, in 
seinem boshaften, mißtrauischen Charakter, in seiner „Lust, allen wehe zu 
tun, die sich nicht schützen können.“**) Sehr schwer bestraften sich die 
unfürstlichen Familienverhältnisse des Regenten. „Er hat uns nur in 
Pachtung,“ sagte man im Volke; niemand traute ihm landesväterliche 
Liebe zu, weil er die Herrschaft doch nicht auf seine Nachkommen vererben 
könne. Dieser Verdacht mußte wachsen, als der Kurprinz von den Land- 
—. 
*) Arnims Berichte, 24., 27. Okt.; Ancillon, Weisung an Arnim, 6. Nov. 1834. 
**) Canitz' Berichte, 3. Okt. 1836, 19. Aug. 1837.
	        
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