Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

620 IV. 8. Stille Jahre. 
redete, dann schien es, als geize er nach dem Ruhme eines hessischen Straf— 
ford; und in der Tat verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch 
seine Getreuen mit Beiträgen versorgte: hier in Hessen werde der geheime 
Krieg zwischen Fürstenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen. 
So erwarb er sich bald den Beinamen des Hessenfluchs. Die Liberalen 
haßten ihn um so grimmiger, weil sie seine Begabung nicht bestreiten 
konnten; er erledigte die Geschäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und 
zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl seiner Werkzeuge. Ganz uner- 
träglich war ihm der stehende Ausschuß des Landtags, „diese verkehrteste 
Ausgeburt der neuen Verfassung“; der Landtag aber erklärte gerade diese 
ständische Nebenregierung, die sich mit der modernen Staatseinheit in der 
Tat nicht vertrug, feierlich für „das Palladium“ der hessischen Freiheit. 
Zunächst dachte der Minister den alten Übelstand des deutschen 
Repräsentativsystems, die Beamten-Opposition auf dem Landtage, zu be- 
seitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfassung, sollte entfernt 
werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von 
1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten 
unnachsichtlich die Erlaubnis zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der 
Abgeordnete der Universität Marburg, suchte die Genehmigung des Mini- 
steriums nicht nach, sondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch 
schon früher, ohne um Erlaubnis zu bitten, sechzehn Monate lang die 
Hochschule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfassung einst 
der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugestanden, hatten 
sie unzweifelhaft nicht beabsichtigt, daß sich dies Recht auch auf den Ab- 
geordneten der Universität erstrecken sollte; denn er mußte ein Professor 
sein, er vertrat eine Korporation, welche seit drei Jahrhunderten, kraft 
ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die 
Regierung auch ihm die Erlaubnis zum Besuche des Landtags nach Be- 
lieben versagen, so ging das alte Wahlrecht der Universität tatsächlich auf 
das Ministerium über. Aber diese in Wahrheit selbstverständliche Aus- 
nahme von der Regel war in der Verfassung nicht ausdrücklich ausge- 
sprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterschied, nach 
ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgesetzten Behörde einzuholen. 
Der verschlagene Minister konnte sich also auf den Buchstaben des Grund- 
gesetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, sie solle den Pro- 
fessor Jordan, der keine Erlaubnis erhalten habe, von ihren Sitzungen 
ausschließen. Der Landtag lehnte das Ansinnen ab, dessen eigentlichen 
Zweck jedermann durchschaute, und wurde sofort aufgelöst. 
Fortan blieb jede Versöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini- 
ster ward so maßlos, daß selbst der befreundete Canitz zuweilen meinte, 
Hassenpflug müsse um des Friedens willen zurücktreten.) Der aber hielt 
—s---— 
*) Canitz' Berichte, 2. Juli 1833 ff.
	        
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