Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Hassenpflug und der Landtag. 621 
aus und erreichte wirklich, daß der Landtag von liberalen Staatsdienern 
fast ganz gesäubert wurde; was verschlug es auch diesem Tausendkünstler, 
daß die Verfassung vorschrieb, der Urlaub dürfe „nicht ohne erhebliche Ur— 
sache“ versagt werden? Nach Jordans Ausscheiden fand die Opposition 
bald neue mutige Führer an dem wackeren Bürgermeister Schomburg, 
der als Landtagspräsident die stürmischen Verhandlungen mit würdigem 
Ernst leitete, sowie an den Juristen Wippermann und Schwarzenberg, die 
ungleich heftiger auftraten. Der Zank nahm kein Ende. Von vier Land— 
tagen wurden unter Hassenpflugs Regiment zwei aufgelöst, einer einfach 
„entlassen“ — in Formen, welche die Verfassung nicht kannte —, nur 
ein einziger gelangte zum ordnungsmäßigen Schluß. Waren die Stände 
nicht versammelt, so kämpfte der Minister, noch leidenschaftlicher, mit ihrem 
Ausschuß. Hartnäckig, mit der Kunst des vollendeten Sophisten, bestritt 
er ihnen jedes Recht, das nur irgend angezweifelt werden konnte. Als 
die Budget-Kommission einmal mehrere Streichungen vorschlug, richtete 
die Regierung eine förmliche Beschwerdeschrift an die Kammer und be— 
schuldigte den Landtag, der noch gar keinen Beschluß gefaßt hatte, der 
Überschreitung seiner Befugnisse. Zudem wurde im Lande jede Regung 
des öffentlichen Lebens durch harte Polizeigewalt daniedergehalten, ob- 
gleich die Unruhe der Revolutionsjahre längst einer tiefen Abspannung 
gewichen war. Das dreihundertjährige Jubelfest des Schmalkaldener Bun- 
des durfte — hier in der Heimat Philipps des Großmütigen — nicht 
stattfinden, weil jener aufrührerische Bund wider die Obrigkeit den Hessen 
nicht zur Ehre gereiche. Eines Tags erschien der Minister feierlich im 
Landtage, um die Abgeordneten an ihre vaterländischen Pflichten zu mahnen 
und die Erlaubnis zur Verfolgung eines Hochverräters zu erbitten. Alles 
harrte gespannt auf den Namen des Frevlers; da nannte Hassenpflug 
einen der gutmütigsten Philister des Hauses, den Gastwirt Salzmann. 
Der wurde beschuldigt, auf seiner Kegelbahn in Nauheim das aufrühre- 
rische Gerede eines Genossen von Weidig ruhig mit angehört zu haben, 
und selbst dieser Hochverrat konnte nachher nicht erwiesen werden. 
Unter solchen unfruchtbaren Wortgefechten stockten die Geschäfte. Alle 
diese Jahre hindurch kam nur noch ein wichtiges Gesetz zustande, das 
verständige Gemeindegesetz von 1834. Die Landstände wurden durch die 
ewige Zänkerei empfindlich, gereizt, kleinlich. Sie beschwerten sich über 
Amtsehrenbeleidigung, weil sie einmal bei einer öffentlichen Feierlichkeit 
zur linken Hand des Regenten gestanden hatten; sie markteten um jeden 
Flügeladjutanten, genau nach den Weisheitslehren des Staatslexikons, 
und wollten einst sogar den Gehalt des Zollvereinsbevollmächtigten streichen 
— ein offenbarer Vertragsbruch, der noch glücklich abgewendet wurde. Um 
die Verwirrung zu vollenden, ließ der Prinzregent auch noch an den Mini- 
stern seine Launen aus. Es wurde fast zur Regel, daß Meisterlin, Motz, 
Trott und die anderen Ministerialvorstände, die neben Hassenpflug wenig
	        
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