Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Russische Rüstungen. 55 
auf, seine Kriegslust war kaum mehr zu bändigen. „Ich habe,“ sagte er 
heftig, „von vornherein für die Legitimität kämpfen wollen und mich nur, 
weil ich der Jüngere bin, der reiferen Erfahrung des Königs gefügt.“ 
Jetzt aber glaubte er zu wissen, daß nicht bloß die königlichen Prinzen, 
sondern auch sein Schwiegervater selber seine Ansicht teile und allein 
Bernstorff mit den anderen Ministern die lauen Maßregeln Preußens 
veranlaßt habe.') Nur schwer gab er diesen Verdacht auf, den wahr- 
scheinlich Metternichs Mitteilungen an Orlow hervorgerufen hatten. 
Schon längst hatte er zu rüsten begonnen; nun befahl er neue Aus- 
hebungen und ließ sie, „um die Revolution zu schrecken,“ ganz gegen den 
russischen Brauch in den Zeitungen veröffentlichen. Erst auf Schölers 
dringende Vorstellungen gestattete er endlich, daß Nesselrode in einem 
beschwichtigenden Rundschreiben an die Gesandtschaften den Ernst dieser 
Drohungen etwas abschwächte: die angeordneten Vorbereitungen, hieß es 
da, verfolgten nur die Absicht, den Frieden und die vertragsmäßige Ord- 
nung Europas aufrecht zu erhalten; hoffentlich werde schon die Ankündigung 
genügen, um „diesen Zweck der Erhaltung“ zu erreichen.?) Unterdessen 
erschöpfte Diebitsch in Berlin seine ganze Beredsamkeit, um immer wieder 
zu beweisen, wie notwendig der große Krieg und wie leicht er zu führen sei. 
Doch seine diplomatischen Künste, die sich vorm Jahre in Adrianopel so 
glänzend bewährt hatten, versagten diesmal. Friedrich Wilhelm blieb fest, 
und als der Feldmarschall endlich in den ersten Dezembertagen heim- 
kehrte, gab man ihm eine große, sorgfältig vorbereitete Denkschrift mit 
auf den Weg, welche dem Zaren noch einmal die leitenden Gedanken 
der preußischen Friedenspolitik vor die Augen führen sollte.") 
Nichts lag dem Könige ferner, als der Gedanke einer Annäherung an 
den liberalen Westen. Auf dem Bunde der Ostmächte fußten alle seine 
Pläne, und auch der alten übermäßigen Vorliebe für die Russen hatte er 
keineswegs entsagt. „Rußland,“ so sagte er, „ist und bleibt die kräftigste 
Stütze der Allianz, sowohl wegen des hochherzigen Charakters seines Souve- 
räns, als wegen der Trefflichkeit seiner Heere.“ Er wollte nicht den Frieden 
um jeden Preis, sondern verlangte, die großen Mächte sollten dem Hofe 
des Palais Royal gemeinsam erklären, daß sie die Politik der revolutio- 
nären Propaganda nicht dulden würden. Bei offenbarer Feindseligkeit 
Frankreichs war er bereit, den Krieg sogar ohne Englands Mitwirkung 
zu beginnen, während man in Petersburg selbst noch immer an die Fort- 
  
*) Schölers Bericht 21. Nov. 1830. 
*#) Schöler, Verbalnote an Nesselrode, 3.Movember 1830; Nesselrode, Zirkular- 
depesche 29. Oktober a. St. nebst Begleitschreiben an Schöler. 
*#) Bernstorff, Mémoire sur la position de la grande alliance relativement à 
la France et à IEurope. 24. November 1830. Entwurf dazu v. 9. Nov. nebst 
„Fragen und Anweisungen“ des Königs. 
 
	        
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