Russische Rüstungen. 55
auf, seine Kriegslust war kaum mehr zu bändigen. „Ich habe,“ sagte er
heftig, „von vornherein für die Legitimität kämpfen wollen und mich nur,
weil ich der Jüngere bin, der reiferen Erfahrung des Königs gefügt.“
Jetzt aber glaubte er zu wissen, daß nicht bloß die königlichen Prinzen,
sondern auch sein Schwiegervater selber seine Ansicht teile und allein
Bernstorff mit den anderen Ministern die lauen Maßregeln Preußens
veranlaßt habe.') Nur schwer gab er diesen Verdacht auf, den wahr-
scheinlich Metternichs Mitteilungen an Orlow hervorgerufen hatten.
Schon längst hatte er zu rüsten begonnen; nun befahl er neue Aus-
hebungen und ließ sie, „um die Revolution zu schrecken,“ ganz gegen den
russischen Brauch in den Zeitungen veröffentlichen. Erst auf Schölers
dringende Vorstellungen gestattete er endlich, daß Nesselrode in einem
beschwichtigenden Rundschreiben an die Gesandtschaften den Ernst dieser
Drohungen etwas abschwächte: die angeordneten Vorbereitungen, hieß es
da, verfolgten nur die Absicht, den Frieden und die vertragsmäßige Ord-
nung Europas aufrecht zu erhalten; hoffentlich werde schon die Ankündigung
genügen, um „diesen Zweck der Erhaltung“ zu erreichen.?) Unterdessen
erschöpfte Diebitsch in Berlin seine ganze Beredsamkeit, um immer wieder
zu beweisen, wie notwendig der große Krieg und wie leicht er zu führen sei.
Doch seine diplomatischen Künste, die sich vorm Jahre in Adrianopel so
glänzend bewährt hatten, versagten diesmal. Friedrich Wilhelm blieb fest,
und als der Feldmarschall endlich in den ersten Dezembertagen heim-
kehrte, gab man ihm eine große, sorgfältig vorbereitete Denkschrift mit
auf den Weg, welche dem Zaren noch einmal die leitenden Gedanken
der preußischen Friedenspolitik vor die Augen führen sollte.")
Nichts lag dem Könige ferner, als der Gedanke einer Annäherung an
den liberalen Westen. Auf dem Bunde der Ostmächte fußten alle seine
Pläne, und auch der alten übermäßigen Vorliebe für die Russen hatte er
keineswegs entsagt. „Rußland,“ so sagte er, „ist und bleibt die kräftigste
Stütze der Allianz, sowohl wegen des hochherzigen Charakters seines Souve-
räns, als wegen der Trefflichkeit seiner Heere.“ Er wollte nicht den Frieden
um jeden Preis, sondern verlangte, die großen Mächte sollten dem Hofe
des Palais Royal gemeinsam erklären, daß sie die Politik der revolutio-
nären Propaganda nicht dulden würden. Bei offenbarer Feindseligkeit
Frankreichs war er bereit, den Krieg sogar ohne Englands Mitwirkung
zu beginnen, während man in Petersburg selbst noch immer an die Fort-
*) Schölers Bericht 21. Nov. 1830.
*#) Schöler, Verbalnote an Nesselrode, 3.Movember 1830; Nesselrode, Zirkular-
depesche 29. Oktober a. St. nebst Begleitschreiben an Schöler.
*#) Bernstorff, Mémoire sur la position de la grande alliance relativement à
la France et à IEurope. 24. November 1830. Entwurf dazu v. 9. Nov. nebst
„Fragen und Anweisungen“ des Königs.