624 IV. 8. Stille Jahre.
vermacht hatte, widerrechtlich an sich zu reißen. In Preußen wurden seine
Ansprüche natürlich abgewiesen, umso hartnäckiger behauptete er sie in Hessen.
Da die Verfassung alle Domänen für Staatsgüter erklärt hatte, so ver—
stand es sich von selbst, daß auch die heimgefallenen Rotenburger Domänen,
durchweg säkularisierte Kirchengüter, dem Staate gehörten, und das kur—
fürstliche Haus höchstens eine entsprechende Erhöhung der Zivilliste fordern
konnte. Darüber waren auf dem Landtage von 1830, als das Landes-
vermögen geteilt wurde, die Vertreter der Regierung mit den Landstän-
den vollkommen einig gewesen. Auch jetzt erklärte der Landtag mit er-
drückender Mehrheit, die Rotenburger Quart gehöre dem Staate. Die
treuen bäuerlichen Abgeordneten zeigten sich besonders eifrig; sie sagten,
jetzt sei doch dem Kurhause endlich genug gezahlt worden. Doch leider
enthielt die Verfassung keine Vorschrift über die Streitfrage, und so konnte
der landesübliche Zank von neuem beginnen. Der Kurprinz blieb vor-
läufig im Besitze und ließ im Verlaufe der Händel einmal eine höchst ver-
dächtige Außerung fallen. Er schrieb den Ständen (1837): für den Fall
seiner eigenen Thronbesteigung behalte er sich noch eine besondere Er-
klärung über „Unsere Domänen“ vor. Sollte das heißen, daß er als
Kurfürst die ganze Vereinbarung vom Jahre 1830 wieder in Frage stellen
und auch die kurhessischen Domänen für sich verlangen wolle? Niemand
wußte es; die Aussicht in die Zukunft ward immer düsterer.
Sie lichtete sich auch nicht, als Hassenpflug von dem unvermeidlichen
Schicksal aller hessischen Minister ereilt wurde. Er hatte seine Schuldig-
keit getan und begann dem Prinzregenten durch seine Herrschsucht wie
durch seine Überlegenheit lästig zu werden. Auf einen Vorschlag, den
der Minister mit dem Besten der Untertanen begründete, erwiderte der
Regent unwirsch: „Ach was! Bestes der Untertanen! Da mag man noch
so viel tun, da wird doch nicht dafür gedankt, und dann denkt niemand
dabei an Uns, es heißt doch, die Minister haben's getan.“ Man merkte
bald, daß der Kurprinz die Gelegenheit zum Bruche suchte. Sie fand sich
auch schnell: es gab Streit über den Ministergehalt, und nachher wurden
gar einige Hengste aus dem Landesgestüt, ohne Anfrage beim Prinzregenten,
zum Verkauf ausgemustert. Das genügte. Durch schnöde Verweise be-
leidigt, forderte Hassenpflug zweimal seine Entlassung. Am 1. Juli 1837
wurde er aufgefordert, das Ministerium des Innern aufzugeben, das Justiz-
ministerium zu behalten; als er dies Schreiben zurückschickte, erhielt er un-
gnädigen Abschied. Das war der Dank für den Mann, der so lange die
eigensten Gedanken des Prinzregenten mit tollkühner Dreistigkeit vertei-
digt hatte. Hassenpflug war während der letzten Wochen, wohl um sich
einen neuen Rückhalt zu suchen, im Landtage etwas milder aufgetreten.
Darum fühlte er sich gedrungen, dem Könige von Preußen in einer aus-
führlichen Denkschrift die wahren Gründe seiner Entlassung darzulegen.
Nimmermehr wollte er sich dem Verdachte aussetzen, „als wäre ein Aus-