626 IV. 8. Stille Jahre.
verlangte in feuriger Rede: jeder Landtag müsse die gemeinsamen deut—
schen Angelegenheiten als wahrhafte Landesangelegenheiten betrachten; dann
werde die Nation sich als Nation erkennen und nicht länger vor den Aus—
ländern zu erröten brauchen. Allein die Teilnahme blieb lau; als er
seine Anträge zum vierten Male einbrachte, begrub man sie stillschweigend
in den Akten. Auch Römers tief durchdachte Reden gegen das neue, überaus
harte Strafgesetzbuch fanden wenig Anklang.
Die Opposition stand aussichtslos im Winkel und verfiel allmählich,
wie vormals die Altrechtler, jenem pessimistischen Trotze, der die tiefen
schwäbischen Gemüter so leicht betört. In einer geistreichen Schrift über
das Recht der Steuerverwilligung (1836) erwies Pfizer, dies Recht müsse
den Landständen als Mittel dienen, „um auf die vollziehende Gewalt Ein-
fluß zu gewinnen und Anderungen im Regierungssystem zu bewirken.“
Es war die altständische Ansicht vom power of the purse, eine grob
naturalistische, mit der Staatseinheit schlechthin unvereinbare Lehre, welche
das Wesen der Freiheit im beständigen Kampfe gegen die Regierung suchte.
Diese staatsfeindliche Doktrin, die einst den alten Ständen Mecklenburgs
und Württembergs zum Leitstern gedient hatte, wurde jetzt von dem ersten
Publizisten des deutschen Liberalismus als Grundsatz des modernen kon-
stitutionellen Staatsrechts aufgestellt, und seine gemäßigt liberalen Freunde
schlossen sich ihm an. Sie stimmten allesamt gegen das Budget, weil
sie wußten, daß die Mehrheit es doch bewilligen würde, und sprachen selbst
feierlich aus, durch ihr Nein wollten sie nur Verwahrung einlegen wider
„eindem konstitutionellen Prinzip sowenigentsprechendes Regierungssystem“.
Doch unmöglich konnten ehrliche, geistvolle Männer bei Abstimmungen,
die nicht ernst gemeint waren, sich auf die Dauer beruhigen. Was mußte
Pfizer empfinden, wenn er gegen den Zollverein stimmte oder gar den un-
sinnigen Satz verteidigte: Landesrecht geht vor Bundesrecht! Er täuschte
sich nicht über die Unwahrheit eines politischen Kampfes ohne Mittelpunkt
und Ziel; von den Portfolio-Träumen seines Freundes Wurm wollte er
auch nichts hören, weil er die Selbstsucht der britischen Staatskunst durch-
schaute. Überdies hatte er an sich selbst erfahren, daß nur Männer,
welche ganz im parlamentarischen Leben aufgehen, in der Volksvertretung
wahrhaft mächtig werden, nicht aber Publizisten oder Denker, die auf an-
deren Gebieten ihren Namen sich erworben haben. Selbst Uhland, dessen
politischer Blick nicht so weit reichte, erkannte beschämt die Ohnmacht dieser
kleinen Landtage und sagte: „Wir stehen an der Grenze einer lebendigen
Wirksamkeit auf diesem Wege. Der Bündel ist nicht zustande gekommen,
das Beil hat kein Heft, und die Stäbe liegen geknickt umher.“ Das Land
regte sich nicht, und es klang fast wie Hohn, wenn Wurm und seine
Genossen im Portfolio rühmten: der Stuttgarter Hof sei russisch, die
Opposition allein vertrete die wirkliche Meinung des Volks, das nach
einem Bunde mit den Westmächten verlange.