Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

640 IV. 8. Stille Jahre. 
trachten, dereinst noch die ganze, von hellenischer Kultur beherrschte Süd- 
hälfte der Halbinsel an sich zu reißen. Solche Kränze winken nur dem 
Helden. Durch das Schwert geschaffen, konnte der junge Staat auch nur 
durch das Schwert erhalten werden; und der Stamm seiner nationalen 
Wehrkraft bestand bereits in den kampfgewohnten Banden der Palikaren. 
Es war ein wildes Kriegsvolk, sehr kunstfertig im Abschneiden der Ohren 
und Nasen; die treuen, tapferen Männer wünschten sehnlich, ihrem Basi- 
leus um geringen Sold zu dienen, und wenn man sie nicht allzu streng 
mit den Reglements der europäischen Exerzierplätze plagte, so ließ sich aus 
ihnen leicht ein tüchtiges Heer bilden. Die Regentschaft aber fürchtete 
sich vor den barbarischen Unholden, König Otto schlug ihnen ihre Bitten 
ab, und so wanderten denn 5000 schwerbewaffnete Palikaren zornmutig 
über die türkische Grenze, um dort im Gebirge das alte Klephten-Hand- 
werk von neuem zu ergreifen. Dergestalt wurde das streitbare Land durch 
die Angstlichkeit seiner eigenen Regierung entwaffnet. Ein Korps von 
3500 Bayern mußte vorläufig die Ordnung aufrecht halten, und die 
Wackeren hatten hart zu arbeiten, bald im Kampfe gegen die Klephten, 
bald im Sonnenbrande beim Bau der Piräusstraße; der giftige Raki- 
schnaps und der schlechte geharzte Wein gaben keinen Ersatz für das edle 
heimische Bier. Nach einem Jahre zogen die bayrischen Truppen heim. 
Nun ward aus Eingeborenen und aus geworbenen Bayern ein winziges 
reguläres Heer von zweifelhafter Kriegstüchtigkeit gebildet. Da ein Klein- 
staat ohne Geld und Waffen der Tapferkeit keinen Raum mehr bot, so 
gelangten die beiden anderen vorherrschenden Triebe des hellenischen Volks- 
geistes, der Handelssinn und der Wissensdrang, zur alleinigen Herrschaft. 
Das Heldenvolk der Türkenbesieger verwandelte sich wunderbar schnell in 
eine Nation von Kaufleuten und Gelehrten. Griechenland konnte bei den 
Todeszuckungen des türkischen Reichs kein Wort mehr mitsprechen, und 
die einzige naturgemäße Lösung der orientalischen Frage, die Wiederher- 
stellung des byzantinischen Kaisertums blieb zum Unheil für die Welt 
noch lange völlig aussichtslos. 
Währenddem war der Eifer der Bayern längst erkaltet; in München 
nannte man das Land der Hellenen die bayrische Botany-Bai, denn bloß 
vom blauen Himmel und von schönen Landschaften vermochten Germanen 
nicht zu leben. König Ludwig besuchte noch selbst das geliebte Volk und 
legte unter schallenden Zitorufen den Grundstein für das athenische Kö- 
nigsschloß. Auch König Otto kam einmal in die alte Heimat, gastlich 
empfangen von der Muse der Charlotte Birch-Pfeiffer, die ihm ein Fest- 
spiel „der Liebe Streit“ widmete. Da war es denn sehr rührsam anzu- 
hören, wie sich Bavaria und Hellas um ihren unvergleichlichen Otto stritten; 
zuletzt fielen die beiden kampflustigen Frauen einander versöhnt in die 
Arme. Trotzdem wollte das Feuer nicht wieder aufflammen; wer irgend 
konnte von den bayrischen Beamten in Hellas, kehrte schleunigst heim. Nach-
	        
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