658 IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
Kirche nur dem Papste, in der evangelischen keinem zusteht. Auf einen
solchen Frevel war trotz allem, was geschehen, niemand gefaßt. An jeden
einzelnen Beamten trat jetzt die Frage heran, ob er sein Gewissen der
Gewalt unterwerfen, den neuen Diensteid schwören und damit den alten
brechen dürfe. Während das Land unter dem Schlage noch wie betäubt
lag, unterzeichneten am 18. November sieben der namhaftesten Göttinger
Professoren eine Vorstellung an das Universitätskuratorium, worin sie ein-
fach erklärten, daß sie sich auch jetzt noch an ihren Verfassungseid gebun-
den hielten: „Das ganze Gelingen unserer Wirksamkeit beruht nicht sicherer
auf dem wissenschaftlichen Werte unserer Lehren als auf unserer persön-
lichen Unbescholtenheit. Sobald wir vor der studierenden Jugend als
Männer erscheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben,
ebensobald ist der Segen unserer Wirksamkeit dahin. Und was würde
Sr. Maj. dem Könige der Eid unserer Treue und Huldigung bedeuten,
wenn er von Männern ausginge, die eben erst ihre eidliche Versicherung
freventlich verletzt haben?“ E. Albrecht, der als Lehrer unvergleichliche,
als Schriftsteller leider wenig fruchtbare Jurist, hatte den Gedanken zu-
erst bei Dahlmann angeregt?), und Dahlmann darauf die Erklärung auf-
gesetzt, die unverkennbar den Ausdruck eines tiefen sittlichen Leidens trug.
Es war, wie ihr Verfasser sagte, eine Protestation des Gewissens, nur
durch den Gegenstand ein politischer Protest. Nachher unterzeichneten noch
die Gebrüder Grimm, Wilhelm Weber, Ewald und der junge Gervinus.
Von allen den Sieben hatten bisher nur Dahlmann und Gervinus am
politischen Kampfe teilgenommen, und auch sie standen bei den Liberalen
der Rotteck-Welckerschen Schule im Rufe übertriebener Mäßigung.
Der alte Welfe geriet in furchtbare Wut, als er von dieser Tat
erfuhr, die doch nicht einmal offene Widersetzlichkeit war; ihm fehlte jedes
menschliche Verständnis für den Edelsinn der Gegner. Er selbst hatte
fünf Monate lang geschwankt und erst zwei andere Pläne verworfen, be-
vor er die Verfassung umstieß; aber sobald seine Entscheidung gefallen
war, meinte er alles erledigt und forderte schweigenden Gehorsam. So
faßte er seine königliche Machtvollkommenheit auf. Alsbald verfügte er
(28. Nov.) eigenhändig in seinen rohen Schriftzügen: er habe vernommen,
wie „sich die Professoren nach erfolgter Aufhebung des Staatsgrundgesetzes
dasselbe gewissermaßen noch als gültig zu betrachten und aufrecht zu er-
halten herausnehmen“, und ersehe daraus, daß sie „augenfällig eine revo-
lutionäre, hochverräterische Tendenz verfolgen, welche sie persönlich ver-
antwortlich macht: sie scheinen daher der Macht des peinlichen Richters
verfallen“ zdemnach sollten die Behörden „diesemverbrecherischen Beginnen“
steuern und die Schuldigen zur Strafe ziehen.“) Schele stimmte freudig
*) So erzählte Albrecht sehr bestimmt, nachdem er die etwas abweichende Dar-
stellung von Springer (Dahlmann IJ. 430) gelesen hatte.
*“) K. Ernst August an Schele, 28. Nov. 1837, s. Beilage XXIV.