Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Ernst August und die Sieben. 661 
sechs jüngere Professoren, Otfried Müller voran, entschlossen sich, angeekelt 
durch dies Übermaß der Lüge, zu der öffentlichen Erklärung, daß sie den 
Schritt ihrer entlassenen Kollegen nicht mißbilligten. Aber niemand wollte 
sich den Sieben rückhaltlos anschließen. Der schon durch Rauschenplatts 
Revolution verdunkelte Glanz der Universität verblich jetzt gänzlich, für viele 
Jahre; die auswärtigen Studenten mieden den verrufenen Ort, der Ab— 
gang so trefflicher Lehrkräfte ließ sich nicht ersetzen. Ernst August wünschte 
vornehmlich die Lehrstühle Dahlmanns und Albrechts mit ergebenen Leuten 
zu besetzen, damit den Studenten die neue Lehre von der unbeschränkten 
Gewalt des alleinigen Dienstherrn eingeprägt würde; allein solche Gelehrte 
waren in Deutschland selten. Der Marburger Vollgraff, der in einigen 
verworrenen Schriften, nicht ohne Geist „die Täuschungen des Repräsen— 
tativsystems“ bloßgelegt hatte, genügte doch zu wenig den hohen, wissen- 
schaftlichen Ansprüchen, welche das Orakel des Kuratoriums, der greise 
Historiker Heeren an die Lehrer der Georgia Augusta zu stellen pflegte, 
und man wagte nicht, ihn zu rufen.*) Umsonst baten die Universität und 
die Stadt in wiederholten Eingaben um die Rückkehr der Sieben. Selbst 
der Gothaer G. Zimmermann, der einzige namhafte deutsche Publizist, der 
in die Dienste des Welfenhofes gegangen war, hielt die Rückberufung für 
nötig, um das Land und die tief erbitterte gelehrte Welt zu beruhigen. 
Ernst August blieb unerbittlich. Als man im Herbst 1846 erzählte, Dahl- 
mann, Jakob Grimm und Gervinus wollten auf Besuch nach Göttingen 
kommen, entschied der Welfe kurzab: es bleibe bei den früheren Befehlen.“") 
Wie gründlich täuschte er sich, als er in der ersten Schadenfreude 
zu Canitz sagte, „diese Leute haben meiner Sache eher genützt als ge- 
schadet.“ Es währte nicht lange, da rief er zornig: hätt' ich gewußt, was 
mir die sieben Teufel für Not machen würden, so hätt' ich die Sache 
nicht angefangen. Seit der Juli-Revolution hatte kein Ereignis mehr eine 
solche Aufregung hervorgerufen. Die Frage lag so einfach, sie berührte 
so unmittelbar die empfindlichste Seite des deutschen Gemüts, die Treue, 
daß die schlichten Leute mit ihrem Urteil rasch fertig wurden. Der Nation 
war zu Muute, als sei ein englischer Räuber plötzlich in ihren Garten 
eingebrochen. Der burschikose junge Poet Hoffmann von Fallersleben sagte 
nur grob heraus, was Tausende empfanden, als er sang: „Frisch Knüppel 
aus dem Sack! Aufs Lumpenpack! Aufs Hundepack!“ Und wer noch 
irgend zweifelte, den mußten die Verteidigungsschriften der Sieben ge- 
winnen. Dahlmanns Büchlein „Zur Verständigung“ war ein Meister- 
werk deutscher Publizistik; die leidenschaftlich bewegte Sprache blieb immer 
*) Bericht des Universitäts-Kuratoriums, 10. März 1838. 
**) Eingaben der Stadt Göttingen, 9. März, 8. Dez.; der Universität, 15. März, 
Prorektor Gieseler an Schele, 14. März; Erwiderungen aus dem k. Kabinett, 24. März, 
22. Dezember. — G. Zimmermann an Schele, 9. Dez. 1839. — Kabinettsschreiben an 
das Kultusministerium, 29. Okt. 1846. 
 
	        
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