Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

662 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. 
würdig und vornehm, und nirgends verleugnete sich die gemäßigte Gesin— 
nung des Monarchisten: „Ich kämpfe für den unsterblichen König, für den 
gesetzmäßigen Willen der Regierung, wenn ich mit den Waffen des Ge— 
setzes dasbekämpfe, was in der Verleitung des Augenblicks der sterbliche 
König im Widerspruch mit den bestehenden Gesetzen beginnt. .. Ich traue 
nicht dem Mut des Liebeleeren und nicht der Liebe des Mutlosen. Hier 
gilt es Deutschland. Kann eine Landesverfassung vor den Augen des 
Bundes wie ein Spielzeug zerbrochen werden, eine Verfassung, von der es 
unmöglich ist, zu leugnen, daß sie in anerkannter Wirksamkeit bestanden 
hat, dann ist über Deutschlands nächste Zukunft entschieden, aber auch 
über die Zukunft, die dieser folgen wird.“ Wie Dahlmann die politische, 
so zeigte Jakob Grimm die menschliche Niedertracht des Staatsstreichs in 
einem Schriftchen, das mit den Worten der Nibelungen anhob: „war sint 
die eide komen?“ Albrecht beleuchtete die Rechtsfrage in einer scharfsinnigen 
Erörterung, die um so stärker wirken mußte, weil der große Jurist nie ver— 
hehlte, daß er die landläufigen liberalen Lehren vom sogenannten Wider— 
standsrechte für eitle Zirkelschlüsse hielt. Auch Gervinus und Ewald sprachen 
sich freimütig aus, und von allen Seiten her kam ihnen Beistand. 
Georg Beseler, der sich als Kampfgenosse wider die Dänen das Ver- 
trauen Dahlmanns erworben hatte und jetzt an der Rostocker Hochschule 
lehrte, rechtfertigte die Sieben in volkstümlichen Briefen. Anastasius Grün 
richtete an Jakob Grimm ein begeistertes Gedicht und wünschte, 
Daß bis Hannover hin der Sang sich schwänge wundertönig 
Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König. 
Versteht er auch des Deutschen Lied von deutscher Ehre schwerlich, 
Wird sich wohl einer finden dort, ihm's zu verwelschen ehrlich. 
Ein Märchen „Anno 1937“ schildert, wie die Großmutter dem Enkel 
von dem bösen König, dem zerrissenen Freiheitsbriefe, den Sieben und 
den Dreien erzählte, und der Bube verwundert antwortete: „das kann 
unmöglich möglich sein!“ Überall hatten die Vertriebenen Mühe, sich 
den Huldigungen und Zuschriften zu entziehen. Die Bewegung ergriff 
alle deutschen Gaue, bis zu den fernen Grenzmarken. Die Kieler über- 
schickten an Dahlmann, den alten Vorkämpfer des Holstenrechts, eine Dank- 
adresse; die Elbinger Bürger sprachen ihrem Landsmann Albrecht ihre 
Zustimmung aus und die Königsberger philosophische Fakultät sendete ihm 
ein von Lobeck verfaßtes Doktordiplom. Ein Hamburger Reeder ließ in 
Cuxhaven ein auf Dahlmanns Namen getauftes Schiff vom Stapel laufen. 
An den Fenstern der Spielwarenläden sah man den Witzenhausener Ab- 
schied in Bleifiguren dargestellt, auf den Jahrmärkten wurden Pfeifen- 
köpfe mit dem Bilde der Sieben feilgeboten. Und es blieb nicht bei den 
Worten und Bildern. Zum ersten Male seit dem Befreiungskriege ver- 
anstalteten die Deutschen wieder eine Geldsammlung für ihre eigenen poli- 
tischen Zwecke; in den letzten zwanzig Jahren hatten sie nur zu Gunsten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.