Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

670 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. 
der Landdrostei befürchteten, einige auch unter ausdrücklicher Verwahrung 
des Verfassungsrechts. 
Als der Landtag im Februar 1838 eröffnet wurde, erschienen in der 
zweiten Kammer 48 Abgeordnete. Die Kammer war also beschlußfähig, 
aber sie bemerkte sofort, daß der König nicht einmal auf dem Rechtsboden 
vom Jahre 1819, den er angeblich wiederherstellen wollte, ehrlich bestand: 
den Landtag von 1819 hatte er einberufen, doch nicht das von der alten 
Verfassung unzertrennliche Kollegium der Schatzräte, denn Stüve war 
Schatzrat, und dieser gefährliche Mann mußte um jeden Preis dem Land- 
tage fern gehalten werden. Auch der den Ständen vorgelegte Verfassungs- 
entwurf wich von der alten Verfassung mehrfach ab. Bodenlose Willkür 
überall, und dazu die nichtswürdigen, jeden redlichen Mann anwidernden 
Rechtsverdrehungen des Vertreters der Regierung Leist. Mit Entsetzen 
bemerkte Canitz, daß dieser Landesvater seinem Volke „eine Schlinge“ 
drehte; wenn die Abgeordneten sich auf das Staatsgrundgesetz beriefen, 
dann hieß es kurzab: Ihr habt durch euer Erscheinen den Rechtsboden 
vom Jahre 1819 schon anerkannt.)) Der Landtag wußte sich nicht zu 
helfen, die Vermittlungsversuche des Syndikus Lang vermehrten nur die 
allgemeine Ratlosigkeit; die führerlose Oppositon verdiente keineswegs 
die reichen Lobsprüche, welche die liberalen Zeitungen ihr spendeten. 
Das Volk aber erfuhr nichts von den geheimen Sitzungen. Eine Zeit- 
lang war die Kammer beschlußunfähig, weil viele Mitglieder die Hoff- 
nung aufgaben. Endlich trat sie in die Verfassungsberatung ein, sie 
verlangte jedoch zugleich, daß die neue Verfassung noch dem zu Recht 
bestehenden Landtage des Staatsgrundgesetzes vorgelegt werden müsse. 
Diesen Vorbehalt wollte Leist natürlich nicht gelten lassen, und der unter- 
tänige Präsident Jacobi mahnte: „man muß den Mut haben, sich über 
den Rechtspunkt hinwegzusetzen.“ Die Beschwichtigungen fruchteten nichts. 
Die Kammer erklärte ausdrücklich: „daß keine Handlung der jetzt versam- 
melten Deputierten rechtlich Gültiges zu bewirken imstande sei,“ und 
wurde darauf sofort vertagt. Nun schien nichts mehr übrig zu bleiben 
als eine Vorstellung an den Bundestag, aber auch hierüber einigten sich 
(28. Juni) nur 28 Mitglieder, eine Minderheit, die nicht im Namen der 
Kammer zu reden befugt war. 
Währenddem ward es im Lande lebendiger. Die Städte Osnabrück, 
Hannover, Stade, Lüneburg, Hildesheim, Harburg, Celle, Münden sprachen 
sich in Verwahrungen und Adressen für die Rechtsgültigkeit des Staats- 
grundgesetzes aus. An der Spitze dieser volkstümlichen Bewegung stand 
Stüve, jetzt Bürgermeister von Osnabrück, und wie heillos mußte dies 
Land zerrüttet sein, wenn ein solcher Mann sich zu demagogischer Tätig- 
keit gezwungen sah. Er hatte mitsamt seinem Magistrate, nach vergeb- 
  
*) Canitz' Bericht, 2. Aug. 1838.
	        
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