672 IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
den Syndikus mit der Leitung der Gemeindeverwaltung und beteuerte,
die Paragraphen der Stadtverfassung nicht gekannt zu haben. Gesinnungs-
genossen besaß er noch immer nirgends. Sogar seine alten Freunde, die
englischen Hochtorys fanden diese so mutwillig vom Zaune gebrochene
Gewalttat empörend. Außer Zimmermann, dessen hochmütige Sprache
mehr erbitterte als überzeugte, wagte nur noch ein Schriftsteller für den
Welfenhof eine Lanze zu brechen: der fanatische, halbtolle Legitimist Graf
Corberon, der in Dahlmann und Stüve Sendboten der internationalen
Propaganda zu erkennen glaubte. Von allen größeren deutschen Zeitungen
hielt allein das Berliner Wochenblatt bei dem Welfen aus; die Zeitschrift
wußte schon nicht mehr, wie dringend sie noch kürzlich vor allen gesetz-
widrigen Verfassungsänderungen gewarnt hatte.
Trotz alledem schritt Ernst August vorwärts. Bei der Eröffnung des
Staatsrates, den er sich nach preußischem Muster gebildet hatte, verkündete
sein Stiefsohn Prinz Bernhard zu Solms: unter der glorreichen Regierung
König Ernst Augusts, in der patriarchalischen christlich-germanischen Mon-
archie sollten „gleich beschirmt die Rechte des Königs von Gottes Gnaden,
des Edlen, des Bürgers und des Bauern, in organischer Gliederung neben-
einander jedes in eigener Bahn, Wurzel fassen, blühen und gedeihen“.
Und diese Zuversicht war nicht grundlos. Eine leidenschaftliche Volks-
überzeugung, die den Welfen erschrecken konnte, offenbarte sich nirgends.
Sobald die Rechtsgutachten der drei Fakultäten erschienen, verweigerten
etwa hundert Osnabrücker Bürger die Steuerzahlung und ließen sich dann
gemütlich auspfänden. Dabei blieb alles ruhig. Bei seinen Reisen durch
das Land fand der König überall jubelnden Empfang, und die Depu-
tationen der Provinzialstände, die er sich bestellte, schwelgten in Versiche-
rungen der Untertänigkeit. Als er die Garnison von Hildesheim ver-
minderte und nachher auf einer Reise draußen vor dem Tore, ohne die
Stadt zu berühren, umspannen ließ, da rotteten sich die kleinen Leute vor
dem Hause des liberalen Bürgermeisters Lüntzel zusammen und sendeten
dem erzürnten Monarchen eine Ergebenheitsadresse. Die Hildesheimer
Zeitung feierte Ernst August als „den einzig wahren Bürgerkönig“, und
selbst Canitz konnte sich der Bemerkung nicht enthalten: dies sei „ein wohl
nicht ganz glücklich gerichteter Lobspruch“.)
Von solchen Philistern stand wenig zu fürchten, und nun zeigte sich
doch, daß der alte Welfe nicht bloß ein Tyrann war. In allem, was die
Verfassungsfrage nicht berührte, verfuhr er einsichtig und gewissenhaft. An-
spruchslos im täglichen Leben, führte er einen glänzenden, wohlgeordneten
Hofhalt, der durch Malorties Buch „der Hofmarschall“ einen europäischen
Ruf erlangte; trotz allem politischen Groll konnten die Bürger Hannovers
nicht leugnen, daß ihre gute Stadt durch den anwesenden König viel
*) Canitz' Bericht, 16. Dez. 1838.