Die Osnabrücker vor dem Bundestage. 673
gewann und jetzt erst anfing, mit anderen deutschen Residenzen zu wetteifern.
Die Etikette ward freilich unerbittlich streng gewahrt, und Ernst August
ruhte nicht, bis der bayrische Gesandte Hormayr, der durch seine böse Zunge
auch hier wieder Unfrieden stiftete, in die Hansestädte versetzt wurde. Die
Truppen hatten bisher englische Fahnen geführt, ganz wie einst die Kur—
sachsen polnische Feldzeichen trugen. Jetzt wurden die neuen weißgelben
Landesfarben eingeführt, eine ganz unhistorische, allen Gesetzen der Heraldik
widersprechende Farbenzusammenstellung; aus den Aktenbündeln verschwand
der rote Faden, der red tape der Briten. Die Infanterie erhielt, statt
der englischen roten, blaue preußische Röcke, und die Artillerie verlor ihren
Ehrenplatz auf dem rechten Flügel. Groß war der Jammer über diese
Neuerungen, größer fast als der Schmerz um das Staatsgrundgesetz; selbst
der kluge alte General Sir Julius Hartmann vermochte sich von den
teueren alten Erinnerungszeichen nur schwer zu trennen, und König Ludwig
von Bayern sang in einem herzbrechenden Klageliede:
Denn der Hannoveraner ist zu denken
Getrennt von seinem roten Rocke nicht.
Sie ahnten nicht, daß der alte Welfe unbewußt im Dienste des nationalen
Gedankens arbeitete. Ernst August verdrängte die Ausländerei und zog
einen hannöverschen Partikularismus groß, aus dem vielleicht dereinst eine
deutsche Gesinnung erwachsen konnte; darum war die Abschaffung der roten
Röcke die rühmlichste Tat seiner ersten Regierungsjahre.
Aus eigener Kraft konnte dies halb gleichgültige, halb ratlose Volk
nicht zu seinem Rechte gelangen. Stüve fühlte das lebhaft und setzte
darum seine ganze Hoffnung auf den Deutschen Bund; durch die Petition
der Stadt Osnabrück erzwang er, was OÖsterreich und Preußen so ängstlich
zu verhindern gesucht hatten. Den beiden Großmächten kam der vollendete
Staatsstreich ganz unerwartet. Das hatten sie, nachdem Ernst August in
Karlsbad so versöhnlich gesprochen, unmöglich voraussehen können; auch
der englische Gesandte Sir Fred. Lamb war dort in Böhmen von dem
biderben Welfen völlig überlistet worden und fühlte sich jetzt seinem eigenen
Hofe gegenüber schmählich bloßgestellt.') Nachdem das Unglück geschehen
war, bemühte sich Canitz redlich, den König vor weiteren Gewaltsamkeiten
zu warnen und ihm eine rasche Verständigung mit dem Landtage zu emp-
fehlen. Er sah ganz richtig, daß die Mißstimmung wuchs, je länger die
Ungewißheit währte, daß Leist als Regierungsbevollmächtigter weder Achtung
noch Vertrauen erwecken konnte, daß der Landtag für die künftige Volks-
vertretung wirksame Rechte, namentlich das Recht der Gesetzgebung, fordern
mußte, daß „die Autokratie" nirgends gefährlicher war als in diesem Lande,
das keinen regierungsfähigen Thronfolger besaß.“) Doch einen bestimmten
*) Maltzans Berichte, 16. Nov. 1837 ff.
*) Canitz' Berichte, 17. Nov., 19. Dez. 1837, 4. Apr., 12. Mai, 28. Juli 1838.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 43