Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Osnabrücker vor dem Bundestage. 673 
gewann und jetzt erst anfing, mit anderen deutschen Residenzen zu wetteifern. 
Die Etikette ward freilich unerbittlich streng gewahrt, und Ernst August 
ruhte nicht, bis der bayrische Gesandte Hormayr, der durch seine böse Zunge 
auch hier wieder Unfrieden stiftete, in die Hansestädte versetzt wurde. Die 
Truppen hatten bisher englische Fahnen geführt, ganz wie einst die Kur— 
sachsen polnische Feldzeichen trugen. Jetzt wurden die neuen weißgelben 
Landesfarben eingeführt, eine ganz unhistorische, allen Gesetzen der Heraldik 
widersprechende Farbenzusammenstellung; aus den Aktenbündeln verschwand 
der rote Faden, der red tape der Briten. Die Infanterie erhielt, statt 
der englischen roten, blaue preußische Röcke, und die Artillerie verlor ihren 
Ehrenplatz auf dem rechten Flügel. Groß war der Jammer über diese 
Neuerungen, größer fast als der Schmerz um das Staatsgrundgesetz; selbst 
der kluge alte General Sir Julius Hartmann vermochte sich von den 
teueren alten Erinnerungszeichen nur schwer zu trennen, und König Ludwig 
von Bayern sang in einem herzbrechenden Klageliede: 
Denn der Hannoveraner ist zu denken 
Getrennt von seinem roten Rocke nicht. 
Sie ahnten nicht, daß der alte Welfe unbewußt im Dienste des nationalen 
Gedankens arbeitete. Ernst August verdrängte die Ausländerei und zog 
einen hannöverschen Partikularismus groß, aus dem vielleicht dereinst eine 
deutsche Gesinnung erwachsen konnte; darum war die Abschaffung der roten 
Röcke die rühmlichste Tat seiner ersten Regierungsjahre. 
Aus eigener Kraft konnte dies halb gleichgültige, halb ratlose Volk 
nicht zu seinem Rechte gelangen. Stüve fühlte das lebhaft und setzte 
darum seine ganze Hoffnung auf den Deutschen Bund; durch die Petition 
der Stadt Osnabrück erzwang er, was OÖsterreich und Preußen so ängstlich 
zu verhindern gesucht hatten. Den beiden Großmächten kam der vollendete 
Staatsstreich ganz unerwartet. Das hatten sie, nachdem Ernst August in 
Karlsbad so versöhnlich gesprochen, unmöglich voraussehen können; auch 
der englische Gesandte Sir Fred. Lamb war dort in Böhmen von dem 
biderben Welfen völlig überlistet worden und fühlte sich jetzt seinem eigenen 
Hofe gegenüber schmählich bloßgestellt.') Nachdem das Unglück geschehen 
war, bemühte sich Canitz redlich, den König vor weiteren Gewaltsamkeiten 
zu warnen und ihm eine rasche Verständigung mit dem Landtage zu emp- 
fehlen. Er sah ganz richtig, daß die Mißstimmung wuchs, je länger die 
Ungewißheit währte, daß Leist als Regierungsbevollmächtigter weder Achtung 
noch Vertrauen erwecken konnte, daß der Landtag für die künftige Volks- 
vertretung wirksame Rechte, namentlich das Recht der Gesetzgebung, fordern 
mußte, daß „die Autokratie" nirgends gefährlicher war als in diesem Lande, 
das keinen regierungsfähigen Thronfolger besaß.“) Doch einen bestimmten 
  
*) Maltzans Berichte, 16. Nov. 1837 ff. 
*) Canitz' Berichte, 17. Nov., 19. Dez. 1837, 4. Apr., 12. Mai, 28. Juli 1838. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 43
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.