Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

692 IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit. 
legten „Winterabend-Unterhaltungen am warmen Ofen“ schilderten den 
Rheinländern, wie sie allesamt Sklaven seien, auf preußisch hinters Licht 
geführt, wie das Land vor fünfundzwanzig Jahren mehr Kronentaler 
besessen hätte als heute Silbergroschen; wenn ein Protestant sich auf den 
Glauben seiner Väter berufe, so sei dies ganz das nämliche, als wenn ein 
schlechter Kerl sage: meine Eltern waren auch schlechte Kerle. Dem evan- 
gelischen Könige, der durch Seelenverkauf seine Schwiegertochter dem wahren 
Glauben entfremdet habe, wurde als leuchtendes Gegenbild der gerechte 
katholische „Kaiser Fränzel in ÖOsterreich“ entgegengestellt. 
Dem wilden klerikalen Hasse, der sich in solchen Schriften aussprach, 
boten zunächst die Hermesianer eine willkommene Zielscheibe. Es rächte 
sich jetzt, daß Spiegel, zu Altensteins Leidwesen, die Schüler von Hermes 
parteiisch begünstigt hatte. Die so lange zurückgesetzte gegnerische Partei 
dürstete nach Rache; sie wußte, daß der neue Erzbischof mit Spiegel wie 
mit Hermes immer in Feindschaft gelebt hatte. Er selbst berechnete die 
Zahl der Hermesianer unter dem Klerus seines Erzbistums auf mehr 
als fünftausend, und dazu gehörten fast alle die älteren, der Staatsgewalt 
gehorsamen Geistlichen. Gleichwohl war diese mächtige Schule schon im 
Sinken, ganz wie der alte Rationalismus innerhalb der evangelischen Kirche. 
Für die neuen Ideen, welche die Romantik in der katholischen Welt ge- 
weckt hatte, zeigten die Hermesianer kein Verständnis, und je kräftiger das 
kirchliche Bewußtsein sich wieder regte, um so weniger konnte ihm eine 
Theologie genügen, welche die römischen Glaubenssätze auf die rein pro- 
testantische Lehre Kants zu stützen suchte. Vor Jahren schon hatte der 
ultramontane Generalvikar Fonck in Aachen die Bonner Theologen vor 
dem Königsberger Philosophen gewarnt, was der Minister freilich als eine 
unbefugte Einmischung in die Wissenschaft rügte.5) Neuerdings führte die 
Aschaffenburger Kirchenzeitung einen heftigen Federkrieg gegen die Halb- 
heiten der Hermesianer, und nach Hermes' Tode (1831) versuchten seine 
Gegner, den römischen Stuhl zu einem Machtspruche wider die Verstor- 
benen zu bewegen. Jarcke in Wien betrieb die Denunziation mit dem 
fanatischen Eifer des Konvertiten, die Wiener Redemtoristen stellten so- 
gleich eine Reihe ketzerischer Sätze aus Hermes' Schriften zusammen. Dann 
bereiste Jarcke das Rheinland, um neue Beweismittel gegen die Bonner 
Theologenschule zu sammeln; er beredete seinen Gönner Metternich, die 
Anklage in Rom durch den Gesandten Graf Lützow, der auch zu der kleri- 
kalen Schar der evangelischen Renegaten gehörte, insgeheim zu unter- 
stützen. Die Hände des Wiener Hofpublizisten ließen sich überall spüren; 
er gab in diesen Jahren dem Erbprinzen von Nassau politischen Unter- 
richt, und mit solchem Erfolge, daß die Heimat der protestantischen Oranier 
nachher für lange Zeit den klerikalen Einflüssen verfiel. Nun wurden der 
  
*) Fonck an Prof. Seber in Bonn, 18. Juli; Altenstein an Rehsues, 22. Aug. 1823.
	        
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