692 IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
legten „Winterabend-Unterhaltungen am warmen Ofen“ schilderten den
Rheinländern, wie sie allesamt Sklaven seien, auf preußisch hinters Licht
geführt, wie das Land vor fünfundzwanzig Jahren mehr Kronentaler
besessen hätte als heute Silbergroschen; wenn ein Protestant sich auf den
Glauben seiner Väter berufe, so sei dies ganz das nämliche, als wenn ein
schlechter Kerl sage: meine Eltern waren auch schlechte Kerle. Dem evan-
gelischen Könige, der durch Seelenverkauf seine Schwiegertochter dem wahren
Glauben entfremdet habe, wurde als leuchtendes Gegenbild der gerechte
katholische „Kaiser Fränzel in ÖOsterreich“ entgegengestellt.
Dem wilden klerikalen Hasse, der sich in solchen Schriften aussprach,
boten zunächst die Hermesianer eine willkommene Zielscheibe. Es rächte
sich jetzt, daß Spiegel, zu Altensteins Leidwesen, die Schüler von Hermes
parteiisch begünstigt hatte. Die so lange zurückgesetzte gegnerische Partei
dürstete nach Rache; sie wußte, daß der neue Erzbischof mit Spiegel wie
mit Hermes immer in Feindschaft gelebt hatte. Er selbst berechnete die
Zahl der Hermesianer unter dem Klerus seines Erzbistums auf mehr
als fünftausend, und dazu gehörten fast alle die älteren, der Staatsgewalt
gehorsamen Geistlichen. Gleichwohl war diese mächtige Schule schon im
Sinken, ganz wie der alte Rationalismus innerhalb der evangelischen Kirche.
Für die neuen Ideen, welche die Romantik in der katholischen Welt ge-
weckt hatte, zeigten die Hermesianer kein Verständnis, und je kräftiger das
kirchliche Bewußtsein sich wieder regte, um so weniger konnte ihm eine
Theologie genügen, welche die römischen Glaubenssätze auf die rein pro-
testantische Lehre Kants zu stützen suchte. Vor Jahren schon hatte der
ultramontane Generalvikar Fonck in Aachen die Bonner Theologen vor
dem Königsberger Philosophen gewarnt, was der Minister freilich als eine
unbefugte Einmischung in die Wissenschaft rügte.5) Neuerdings führte die
Aschaffenburger Kirchenzeitung einen heftigen Federkrieg gegen die Halb-
heiten der Hermesianer, und nach Hermes' Tode (1831) versuchten seine
Gegner, den römischen Stuhl zu einem Machtspruche wider die Verstor-
benen zu bewegen. Jarcke in Wien betrieb die Denunziation mit dem
fanatischen Eifer des Konvertiten, die Wiener Redemtoristen stellten so-
gleich eine Reihe ketzerischer Sätze aus Hermes' Schriften zusammen. Dann
bereiste Jarcke das Rheinland, um neue Beweismittel gegen die Bonner
Theologenschule zu sammeln; er beredete seinen Gönner Metternich, die
Anklage in Rom durch den Gesandten Graf Lützow, der auch zu der kleri-
kalen Schar der evangelischen Renegaten gehörte, insgeheim zu unter-
stützen. Die Hände des Wiener Hofpublizisten ließen sich überall spüren;
er gab in diesen Jahren dem Erbprinzen von Nassau politischen Unter-
richt, und mit solchem Erfolge, daß die Heimat der protestantischen Oranier
nachher für lange Zeit den klerikalen Einflüssen verfiel. Nun wurden der
*) Fonck an Prof. Seber in Bonn, 18. Juli; Altenstein an Rehsues, 22. Aug. 1823.