Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Drostes Abführung. Die Allokution. 699 
Diesen Vorteil konnte sich die Kurie unmöglich entgehen lassen, und 
was ihr die diplomatische Klugheit gebot, befriedigte zugleich ihren unaus- 
löschlichen Haß. Wohl war der preußische Staat am frühesten unter allen 
protestantischen Mächten der römischen Kirche gerecht worden. Dennoch 
blieb er dem Papsttum der Todfeind, der Hort und Halt des Protestan- 
tismus, seine Krone ruht auf einem säkularisierten Kirchenlande; und bot 
sich die Gelegenheit, das Vaterland Martin Luthers in seinem politischen 
Kerne anzugreifen, dann mußten alle die so lange verhüllten Empfindungen 
des Vatikans zu Tage treten. Sofort nach den ersten Kölnischen Nach- 
richten versammelte Gregor die Kardinäle, ohne auch nur die ihm aus 
Berlin zugesagten näheren Mitteilungen abzuwarten, und sagte am 
10. Dez. in einer grimmigen Allokution: „Was niemand sich vorstellen 
oder aussinnen konnte, was auch nur leichthin zu mutmaßen ein Ver- 
brechen gewesen wäre, das ist auf wohlberechneten Antrieb der weltlichen 
Gewalt geschehen.“ Darum erhob er seine Stimme, „um die verletzte kirch- 
liche Freiheit, die verhöhnte bischöfliche Würde, die mit Füßen getretenen 
Rechte der katholischen Kirche und dieses heiligen Stuhles öffentlich klagend 
zurückzufordern“. Ein Ton urkräftigen Behagens klang durch diese Ver- 
wünschungen; jedermann fühlte, hier sprach das Herz des christlichen 
Pontifex. Seit der Wiederherstellung des Kirchenstaates geschah es zum 
ersten Male, daß die Kurie einen mächtigen Staat also zu beleidigen wagte; 
und da das leere Pathos der Allokutionen noch nicht, wie unter Gregors 
Nachfolger, durch beharrliche Wiederholung vernutzt war, so hallten die 
Flüche des Papstes weithin in der katholischen Welt wieder. 
Auf solche Beschimpfungen gab es nur eine Antwort. Die Krone 
Preußen mußte ihren Gesandten aus Rom abberufen und, ohne den 
Vatikan eines Wortes zu würdigen, sofort die bürgerliche Eheschließung 
einführen — ein entscheidender Schlag, worauf man in Rom am wenigsten 
gefaßt war. Dann bot die Lage des verwaisten Erzbistums wenig Schwierig- 
keiten. Die Mehrheit des Kölner Domkapitels war hermesianisch gesinnt 
und folgte den Ratschlägen jenes Kapitulars München, welcher einst die 
kunstvolle Auslegung des Breves verfaßt hatte. Das Kapitel übernahm 
auf Verlangen der Staatsgewalt unbedenklich die vorläufige Verwaltung 
der Diözese, wählte den Domkapitular Hüsgen zum Generalvikar und be- 
schwerte sich bei der Kurie, natürlich nicht ohne die herkömmlichen Wehklagen 
über die Härte des gefangenen Erzbischofs. Ein scharfer Verweis des 
Papstes hatte keine fühlbaren Folgen. Als der Nuntius Spinelli in Brüssel 
versuchte die Wahl Hüsgens für unkanonisch, seine Fastenindulte für nichtig 
zu erklären, da schritt der König mit einem scharfen Verbote ein, und 
die Kurie erwiderte verlegen, Spinelli habe ohne Auftrag gehandelt.) Auch 
die Vorlesungen am Bonner Konvikt durften, mit Erlaubnis des Dom- 
  
*) Rochows Bericht an den König, 5. Apr.; Kabinettsordre v. 9. Apr. 1838.
	        
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