Süddeutschland gegen Preußen. 717
nicht! Osterreich und Bayern sind geheime Feinde des Königs von Preußen,
den wir gemeinsam bekämpfen!“ Alle solche Anschläge erschienen lächerlich
gegenüber der ungeheueren Anziehungskraft des preußischen Staates und
dem höchst ehrenwerten gesetzlichen Sinne der Rheinländer. Jener rohe
Kampf zwischen Beichtstuhl und Loge, der die Geschichte Belgiens aus—
machte, war am deutschen Rhein unmöglich, weil in der katholischen Pro-
vinz auch ein starker, kerngesunder Protestantismus blühte, und die soziale
Freiheit Preußens mit dem bayrischen Zunftzwange zu vertauschen, konnte
den klugen rheinischen Geschäftsleuten nicht beikommen. Als der Kronprinz
im Sommer 1838 die Manöver in den westlichen Provinzen abhielt, ge-
wann er die tröstliche Gewißheit, „daß eine fünfundzwanzigjährige von Gott
gesegnete Regierung, unter welcher das Land zu nie erhörter Blüte sich
entwickelt, in deutschen Herzen Dankbarkeit erzeugt.“
Aber fruchtlos blieb diese, alle Niedertracht des Partikularismus auf-
regende klerikale Wühlerei keineswegs; sie erschwerte auf Jahre hinaus die
Verständigung zwischen dem Westen und dem Osten. Und wie sie in Süd-
deutschland wirkte, das zeigte ein törichtes Büchlein Rottecks über den
Kölner Streit. Der alte Feind Preußens fühlte sich nur gedrungen, „gegen
die Diktatur der Staatsgewalt in kirchlichen Dingen zu protestieren“; daß
der Erzbischof seinen Eid und die Staatsgesetze mit Füßen getreten hatte,
kam vor dem Richterstuhle des abstrakten Vernurftrechts nicht in Betracht.
Den sichersten Maßstab für die Stimmung im Süden gab die Haltung
der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Das Blatt schillerte nach seiner
Gewohnheit in allen Farben. Sein gegenwärtiger Eigentümer Georg
von Cotta erbat sich von Bunsen geheime Mitteilungen, damit die Zeitung
„im Interesse Preußens und der guten Sache“ wirken könne;?) er ge-
stattete auch dem Münchner Philologen Thiersch zuweilen, einen verstän-
digen Artikel zu schreiben, und sah sich einmal sogar genötigt, den Wiener
Hof um Nachsicht zu bitten. Gleichwohl zeigte sich die einflußreiche Zeitung
dem preußischen Staate so entschieden feindlich, wie bisher schon in allen
großen Fragen der deutschen Politik, mit der einzigen Ausnahme der Zoll-
vereinshändel. In ihren Spalten erschien zuerst alles, was dem Berliner
Hofe schaden konnte, und in jedem Wirtshause des Rheinlandes ward sie
eifrig gelesen.
Unterdessen sah sich Jarcke genötigt, auf die Teilnahme am Berliner
politischen Wochenblatt zu verzichten. In dieser Krisis kam an den Tag, daß
die evangelischen Orthodoxen Preußens doch von anderem Schlage waren
als die Junghegelianer behaupteten. Das Wochenblatt verteidigte, ganz wie
Hengstenbergs Evangelische Kirchenzeitung, mutig die Rechte der Staats-
gewalt. Die Geister begannen sich zu scheiden. Darum trat Jarcke aus,
und auf seinen Rat schuf sich die junge ultramontane Partei in München
*) Georg von Cotta an Bunsen, 30. Dez. 1837.