Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

720 IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit. 
hatten die Klerikalen vielleicht noch ein Verständnis, für Deutschland sicher- 
lich nicht; mit Spott und Hohn fertigten sie den Gutmütigen ab, der 
ihnen sagte, jeder Priester solle ein „Lichtfreund“ sein. 
Die praktische Kirchenpolitik konnte aus diesem endlosen Federkriege 
wenig Belehrung schöpfen. Die Ultramontanen verlangten den reinen 
Dualismus von Staat und Kirche, die Vernichtung der staatlichen Kirchen- 
hoheit, den Verzicht des Staates auf seine Souveränität; ihre Gegner 
glaubten, daß die alleinseligmachende Kirche durch Staatsgesetze oder auch 
durch literarische Ermahnungen zu einer Duldsamkeit, welche ihrem Geiste 
widersprach, gezwungen werden könne. Beides war in einem paritätischen 
Volke gleich unmöglich. Die Klerikalen hatten jedoch den Vorteil, daß 
sie sich auf das Beispiel Belgiens berufen durften, das freie, denkende 
Männer freilich anwidern mußte, aber den liberalen Vorurteilen der Zeit 
verlockend schien. Mit den Mitteln des alten Territorialsystems kam der 
Staat nicht mehr weiter. Die Aufgabe war, das innere Leben der Kirche 
einer unleidlichen Bevormundung zu entziehen, aber auch der Kirche jeden 
Übergriff in das Gebiet des bürgerlichen Rechts unmöglich zu machen 
und das unveräußerliche Recht der staatlichen Kirchenhoheit festzuhalten. 
Über diese schwierige Grenzberichtigung hatte zurzeit noch niemand ernst- 
lich nachgedacht, und die konfessionellen Leidenschaften hüben wie drüben 
erschwerten lediglich die Lösung der Frage. Nur eine wichtige und frucht- 
bare Erkenntnis blieb aus diesem Bischofsstreite zurück: die evangelische 
Welt konnte nicht mehr in der alten trügerischen Sicherheit dahinleben; 
mit Ausnahme der ganz gedankenlosen alten Rationalisten begriffen jetzt 
alle Protestanten, daß die wieder erstarkte römische Kirche eine Macht war, 
arm an Ideen, aber reich an streitbaren politischen Kräften und festgewurzelt 
in den Gefühlen der Massen. Mit dieser Macht hatte der paritätische 
deutsche Staat fortan zu rechnen. 
Unmöglich konnten die benachbarten katholischen Mächte diesen Wirren 
fern bleiben. Von Brüssel stand am wenigsten zu fürchten. Das Ver- 
hältnis zwischen dem preußischen und dem belgischen Hofe blieb allerdings 
mehrere Jahre hindurch sehr unfreundlich'); die Brabanter Klerikalen boten 
alles auf, um die endgültige Ausgleichung mit Holland, die eben jetzt be- 
vorstand, zu vereiteln und den Weltkrieg zu entzünden, der sich zunächst 
gegen das ketzerische Preußen richten sollte. Mehrmals gewann es den 
Anschein, als ob diese Verblendeten die schwache Regierung mit fortreißen 
würden;?) schließlich vermochte König Leopolds Klugheit doch zwischen 
beiden Parteien hindurchzusteuern und den Frieden mit dem mächtigen 
Nachbarn aufrechtzuhalten. Ganz anders stand es in Bayern. Welch ein 
  
*) S. v. IV. 594. 
**) Bericht des Reg.-Präs. v. Cuny an Rochow, 19. Nov.; Abbé Moens an Cuny, 
Lüttich, 14. Nov. 1838.
	        
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