Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

78 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Aber noch weit weniger wollte Preußen durch bewaffnetes Einschreiten 
dem Friedensbrecher Halt gebieten; diese Frage ward in Berlin nicht 
einmal aufgeworfen, denn der gesamte Hof stand mit seinen Herzens— 
wünschen auf der Seite des Oraniers. So ließ man denn unwillig die 
französische Einmischung geschehen, zumal da sie überraschend schnell er— 
folgte und rechtzeitig nicht mehr zu verhindern war. Ancillon klagte ent- 
rüstet: „Frankreich hat ohne Scham und ohne Rückhalt eine empörende 
Parteilichkeit für Belgien gezeigt.“ Sobald die Waffenruhe wiederher- 
gestellt war, forderte König Friedrich Wilhelm auf der Londoner Kon- 
ferenz sehr nachdrücklich den ungesäumten Abmarsch der Franzosen; er 
drohte, nötigenfalls seine rheinischen Regimenter einrücken zu lassen. 
Da alle Mächte das Verlangen Preußens unterstützten, so sah sich Frank- 
reich gezwungen, diesmal Wort zu halten.) Wenige Tage nach dem 
Einmarsch begann schon der Rückzug der französischen Truppen, zu Ende 
Septembers war Belgien wieder geräumt. Die Pariser tobten über die 
erlittene Schmach; allesamt waren sie der bescheidenen Meinung, daß 
Belgien durch einen leichten Handstreich mit Frankreich hätte vereinigt 
werden müssen. Marschall Gerard wurde daheim wie ein Landesverräter 
empfangen; er hatte, als seine Tapferen auf dem Schlachtfelde von Belle 
Alliance dem niederländischen Löwendenkmal den Schwanz abzuhacken 
begannen, dies löbliche Unternehmen verboten, und nun jammerte die 
Presse des Volkes, das an der Spitze der Zivilisation zu marschieren 
wähnte, wie aus einem Munde: nicht einmal der Löwe von Waterloo 
ist zerstört! 
In Wahrheit hatte Periers ruhige Entschlossenheit den Ostmächten 
eine empfindliche Schlappe beigebracht. Frankreich allein war, ohne daß 
die anderen Mächte zu widerstehen wagten, tatkräftig für den Frieden 
eingetreten, sein Bürgerkönig erschien, für den Augenblick mindestens, als 
der mächtige Schirmherr Belgiens. Und was für Ränke spann dieser 
Orleans wieder hinter dem Rücken seines Ministers. In demselben 
Augenblicke, da er zu Belgiens Gunsten die heilige Nichteinmischungslehre 
mit Füßen trat, holte er schon aus zum Todesstoße wider seinen eigenen 
Schützling. Bestimmter, zudringlicher als zuvor enthüllte Talleyrand jetzt 
dem preußischen Gesandten seine begehrlichen Anschläge: der klägliche Ver- 
lauf dieses Feldzugs habe doch zur Genüge bewiesen, daß Belgien nicht 
durch eigene Kraft bestehen könne; am einfachsten also, wenn das Land 
zwischen Preußen, Holland und Frankreich aufgeteilt würde; England 
sei leicht zu gewinnen, wenn man in Antwerpen und Ostende Freihäfen 
einrichte. Palmerston, der andere stets nach seinem eigenen Charakter 
beurteilte, argwöhnte anfangs, daß Bülow diesen Lockungen ein williges 
Ohr leihe. Der Preuße aber lehnte alles rundweg ab; wie hätte er 
  
*) Ancillon an Maltzahn 11. August, an Schöler 17. September 1831.
	        
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