Full text: Die Geschichte Württembergs.

108 III. Württemberg als Herzogthum. 
das nächste beste alte Welb als Urheberin. Die Verdächtigte mußte sich nun zu- 
nächst der Herenprobe unterwerfen. Der Daumen der rechten Hand wurde an 
die linke große Zehe und der linke Daumen an die rechte Zehe gebunden; dann 
wurde die Here ins Wasser geworfen. Sank sie nicht unter, so war ihre Schuld 
bewiesen. Oder man setzte sie auf die Herenwage. War sie zu leicht erfunden, 
so wurde sie aufs entsetzlichste gefoltert, bis ste bekannte. Die angewandten Fol- 
tergualen übersteigen alle Begriffe. Das Ende war immer der Feuertod. 
Schultheiß Geß in Lindheim ließ die Heren an Ketten in einem Thurm auf- 
hängen, Hunger und Kälte leiden und endlich durch ein unten angezündetes Feuer 
langsam braten. 
In Württemberg bestärkte im Jahr 1506 Martin Plantsch, Lehrer 
der Theologie zu Tübingen, in einer Schrift über die Heren seine Zeitgenossen 
im Aberglauben, und der Rechtsgelehrte Godelmann gab ausführlichen Unter- 
richt, wie man Wahrsager und Zauberer erkennen könne und bestrafen solle. So 
kam es, daß auch in unserem Land Heren verbrannt wurden, wenn auch nicht in 
so großer Anzahl, wie in andern Ländern. Im Jahr 1562 kam ein Hagelwetter 
über Eßlingen; sogleich betrieben der Pfarrer Naogeorgus und der Scharf- 
richter eine grausame Herenverfolgung, welcher der Rath nicht zu steuern ver- 
mochte. Im Jahr 1663 wurden daselbst wieder 35 Heren und Zauberer hinge- 
richtet 1). In Wiesensteig wurden (1583) 25, in Rotten burg 40—50, 
in Horb 27, in Hechingen 15, in Ingelfingen (1592) 13 Personen 
verbrannt. Dabei wurde weder das höchste Alter noch die zarteste Jugend ver- 
schont. In Wolfenbüttel wurde ein Weib von 106 Jahren, in Echzel wurden 
10 Kinder von 10 —14 Jahren wegen Hererei hingerichtet. 
Nur wenige Männer hatten den Muth, gegen diese schauerliche Verlrrung 
aufzutreten. Erhard Schnepf, Aulber und Bidembach waren auch nicht 
von dem Wahne frei, daß der Teufel sein Werk durch böse Menschen treibe, die 
sich ihm ergeben hatten; doch ermahnten sie zur Menschlichkeit, Milde und Vor- 
sicht im Urthellen und Verfahren. Der erste, der mit Nachdruck gegen das Heren- 
wesen auftrat, war der Priester Cornelius Loos von Mainz. Er erklärte 
den ganzen Herenglauben für Irrwahn; dafür wurde er durch Kerkerleiden zum 
Widerruf gezwungen. Als er nachgehends wiederholt für arme Weiber Fürbitte 
einlegte, wurde er aufs neue ins Gefängniß geworfen. Mehr leistete der Jesuite 
Friedrich von Spee, der Dichter der „Trutznachtigall“. Dieser edle Graf 
wies im Jahr 1631 in einer eigenen Schrift die Unvernunft und Unmenschlich- 
keit der Herenprozesse nach, so daß der Bischof von Schönborn sie in seinem Ge- 
blete abschaffte. Erst dem freidenkenden Professor Christian Thomasius 
(1655—1728) gelang es, durch seine Beredsamkeit die Abschaffung der Heren- 
prozesse zu bewirken. Aber noch lange rauchten die Scheiterhaufen; im Jahr 
1783 wurde die letzte Here in Glarus verbrannt. — Mit Trauer und Ab- 
scheu wenden wir uns von einem der schauerlichsten Bilder unseres Volkslebens 
aus einer Zeit, in welcher der finsterste Aberglauben stärker war, als echte, 
wahre Bildung. 
1) Keplers Mutter war auch der Hexerei beschuldigt und starb im Gefängniß. 
Keppler hatte Mühe, sie vom Scheiterhaufen zu retten.
	        
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