§S. 39. Herzog Eberhard III. Der dreißigjährige Krieg. 123
Land der eigentliche Schauplatz der Greuel und der Zerstörungen; aber auch die
verwahrten Orte entgiengen nicht immer demselben Schicksal" 1). Wer fliehen
konnte, floh aus diesem Jammer und Elend fort über den Schwarzwald hinüber.
Vielleicht wäre es gar nicht so weit gekommen, wenn der Herzog geblieben wäre;
aber dieser vergaß in den Armen der schönen Wild= und Rheingräfin von Salm
alle Noth selnes Landes. Es überstelgt allen Glauben, welche Qualen und
Martern die Kaiserlichen ersannen, um das arme Württemberg zu plagen. Mit
einem wahrhaft viehischen Wüthen drangen sie überall ein, raubten, brannten,
sengten, mordeten und schändeten. Die Städte Stuttgart, Tübingen und Ulm
blieben verhältnißmäßig noch geschont; in Wailblingen aber wurden alle
Bürger bis auf 145 ermordet. In Nürtingen schleppten die Kroaten die
siebzigjährige Ursula, Witwe des Herzogs Ludwig, an den Haaren herum, und
nur mit Mühe konnte sie Oberst Grune ihren Händen entreißen. In Sin-
delfingen wurde ein Weib auf dem Marktplatz lebendig gebraten. Am
schlimmsten wurde in der Stadt Calw gehaust. Hier war schon im Jahr
1613 von einigen Bürgern unbedachtsamer Weise das Bild des Papstes ver-
brannt worden. In Weil der Stadt wurde die Sache bekannt und aus altem
Nachbarhaß den Kaiserlichen mit dem Bedenten mitgetheilt, daß in dem reichen
Calw große Beute zu machen sei. Der kaiserliche General Johann von
Werth besetzte die Stadt und versprach gegen eine Entschädigung von 6000 fl.
Schonung. Aber er wollte mit diesem Versprechen nur die Bürger sicher stellen
und von der Flucht abhalten. Die Thore wurden geschlossen, die Stadt in
Brand gesteckt; dann begann das Rauben, Foltern, Sengen und Schänden.
Viele Einwohner flohen über die Mauern und sammelten sich in den angrenzen-
den Wäldern um ihren tüchtigen Dekan Johann Valentin Andreä. Der
Feind aber schickte Jäger und Hunde ihnen nach. Als die Wuth nachgelassen hatte,
kehrte Andreä wieder in die Stadt zurück, die in den nächsten Jahren von Hunger
und Pest heimgesucht und im Jahr 1638 von dem kaiserlichen General Götz
ebenso schrecklich wie das erste Mal verwüstet wurde. Die Städte Kirchheim,
Böblingen, Besigheim und die umliegenden Ortschaften wurden verbrannt, ebenso
Heilbronn. Die Brunnen wurden vergliftet, große Züge von Beutewagen wur-
den nach Bayern und Oesterreich geschickt, aber von den tapfern Bürgern Ulms
durch Ausfälle öfters wieder zurückerobert. Auf dem Lande wurden die Häuser
ausgeraubt und verbrannt, die Kirchen verunreinigt, die Vorräthe, die man nicht
mitnehmen konnte, zerstört, das Vieh weggeschleppt, Bäume und Reben umge-
hauen. Die Einwohner wurden kannibalisch mißhandelt; die Glieder wurden
ihnen abgeschnitten; in Ohren, Nase und Mund goß man ihnen sledendes Blei;
man stach ihnen die Augen aus, gab ihnen deu sogenannten „Schwedentrank“
(Mistbrühe), bis der Leib davon aufschwoll; dann wurde mit den Füßen auf
ihnen herumgetreten. Frauen und Kinder wurden ohne Unterschied des Alters
oder Standes auf das schändlichste mißhandelt. Was durch das Schwert ver-
schont worden war, starb durch Hunger und Pest. In Stuttgart starben
täglich 50—660 Menschen an der Seuche; im Jahr 1635 starben dort 4379
Menschen. Ein Jesuite predigte, der Himmel selbst entscheide zwischen den beiden
Kirchen, denn nur die lutherischen Einwohner stürben, aber nicht die katholische
1) S. Pahl, Geschichte von Württemberg, Bd. 4, S. 72 ff.