8. 34. Der westfälische Frieden und der Zustand Württembergs. 129
Des Friedens und der Ordnung hatten sich die meisten so entwöhnt, daß sie sich
in Krieg, Aufruhr und Ungehorsam wohl befanden und des Lebens Zweck darin
suchten, dafür das Leben aufs Spiel zu setzen. Jedes Geschlecht hatte sonst ge-
sammelt und der Nachkommen vorsorglich gedacht; jetzt lagen Staat, Kirche,
Familie, Kunst, Wissenschaft, Handel, Gewerbe — alles gleichmäßig darnieder,
und wild ward verschleudert, was Jahrhunderte erbaut und geschaffen hatten.
Ueberall hatte es an Unterricht durch die Schule und an der Belehrung und Er-
bauung durch die Kirche gefehlt 1). Wenn auch da und dort einige treue
Männer während des ganzen Kriegs muthig bei ihren Gemeinden ausgehalten
hatten, so konnten sie doch der allgemeinen Verwilderung der Sitten nicht genü-
gend steuern. Der größte Theil des Volkes hatte sich dem Müßiggang,
dem Fressen, Saufen und der Unzucht ergeben. Es herrschte die größte Un-
wissenheit, so daß der Adelberger Prälat Heinlein klagte: „Jung und Alt weiß
fast nicht mehr, wer Christus und der Teufel ist.“ Damit gieng Hand in Hand
die Glelchgültigkeit gegen alles Edle und Wahre. Lassen wir den obengenannten
Betkius reden: „Deutschland liegt im KRothe, Schmach, Jammer, Armuth und
Herzenleide bis über die Ohren: Stehet unter dem Bann und Fluche Gottes
wegen aller begangenen Greuel, Weiberschändungen, Fluchen, Lästern und Blut-
vergießen: Die viel tausendmal tausend arme junge Seelen, so unschuldig bei höchster
Unwissenheit in diesem Kriege sind hingeschlachtet worden, schreien Tag und
Nacht unaufhörlich zu Gott um Rache, und die Recht-Schuldigen, die es verur-
sacht, sitzen in stolzer Ruhe, Freihelt, Frieden und Sicherheit und halten
Gastereien und Wohlleben.“ — Arm, zerschlagen, aus vielen Wunden blutend
lag Württemberg, und es wäre nicht zu verwundern, wenn es durch diesen Krieg
und nach demselben aufgehört hätte zu existtren. Aber die Vorsehung hatte dem
Lande einige treffliche Männer geschenkt, die ihr Aeußerstes daransetzten, um dem
vollständigen Untergang zu wehren. Unter diese Getreuen zählen wir vor
allen andern den Wiederhersteller der Selbständigkeit und Freiheit unseres Landes,
Johann Konrad Varenbüler, den tapfern und frommen Kriegshelden
Konrad Wiederhold und den unermüdlichen Seelenhirten Johann Va-
lentin Andreä. Hatte Württemberg auch vieles verloren, — „seine
Jugend und seine Zukunft sind ihm geblieben.“ Gieng es auch in
den kommenden Zeiten durch mancherlei Jammer und Noth hindurch, so blieben
doch Uhlands Verse immer wahr:
„Ein Wort, das sich vererbte,
Sprach jener Ehrenmann,
Wenn man dich gern verderbte,
Daß man es doch nicht kann.“
1) So sagt eine württembergische Verordnung vom 26. Februar 1653: „Ob-
wohl wir eifrig bemüht find, das bei vielen Leuten, besonders bei denen, welche wäh-
rend der so vieljährigen Kriegstrübsale ohne alle Disciplin und Gottesfurcht roh auf-
wuchsen, fast gewohnte barbarische üppige Leben nach Möglichkeit zu unterdrücken, so
wird dieser Zweck doch nicht erreicht."“" — Und ein Reskript vom 9. November 1661
lautet: „Weil es öfters vorkommt, daß Kinder an ihren Eltern sich vergreifen mit grau-
samem Fluchen und selbst mit Schlägen und dieß fast je länger je mehr gemein werden
will, so werden die Strafen deßwegen geschärft.“
Staiger, Geschichte Württembergs. 9