K. 41. Allgemeiner Ueberblick. 133
die österreichischen Erblande von den Türken angegriffen, so wurde das Reichs-
heer aufgeboten; war aber das Reich in Noth (Elsaß, Straßburg), so rührten
sich in Wien weder Hand noch Fuß. Von Karl V. an waren die meisten Habs-
burger Männer, die deutscher Bildung, deutscher Denkungsart und deutscher Sitte
vollständig entfremdet waren und sich nur in den Formen des steifen spanischen
Ceremoniels bewegten. Die Fürsten trieben keine andere Politlk als im Mit-
telalter; „jedes Geschlecht trachtete, sich vom Kaiser möglichst unabhängig zu
machen und souverain zu werden, den Kaisermantel zu zerreißen und aus den
Fetzen eigene Staaten zu machen. Zu diesem Zweck verbanden sie sich mit Rom
und Frankreich.“ Nur ein deutsches Fürstenhaus blieb dieser unseligen Po-
litik fremd — das Haus der Hohenzollern. Dieses machte die deutsche
Sache zu seiner eigenen; es gab sich in der liederlichen Zeit Ludwigs XIV. alle
Mühe, deutsche Sitte und Ehre aufrecht zu erhalten, kam aber durch sein Streben
nach der Unabhängigkeit Deutschlands von Frankreich nicht bloß mit diesem, son-
dern auch mit dem Kaiser, mit deutschen Ständen und außerdeutschen, von Frank-
reich aufgehetzten Mächten in feindselige Berührung. Wie sehr von Anfang an
den Brandenburgern das Gesammtwohl des deutschen Vaterlandes am Herzen lag,
sehen wir beispielsweise aus den Worten des großen Kur fürsten Friedrich
Wilhelm: „SEs sind etliche, welche vorgeben, daß ein jeder ihm selbst und
nicht dem gemeinen Vaterland rathen soll; aber also wird weder euch 1), noch
dem Vaterland gerathen und vorgestanden. Wenn dieses wohl stehet, so stehet
es wohl um alle; wann aber dieses umgekehrt, so kann niemand stehen. Indem
jeder einzelne für sich streitet, werden sie alle überwunden: wer seine eigene
Feuersbrunst ganz allein verhüten will, wird doch endlich durch
eine allgemeine, wann er solcher keinen Widerstand thut, umkommen.“
Dieselbe Politik verfolgte auch Friedrich I. (1688— 1713) und Friedrich
Wilhelm I. (1713—1740) 2). Dieser, zwar herrische und heftige, dabet aber
auf das Wohl seines Landes bedachte König legte den Grund zur späteren Größe
Preußens. Der „alte Dessauer"“ schuf ein tüchtiges Heer und der sehr sparsame
König hinterließ einen Staatsschatz, der seinem Sohne, Friedrich II., dem
Großen (1740—1786), trefflich zu statten kam. Die Gestalt dieses Helden
gieng als ein glänzender Stern am Himmel des deutschen Nordens auf und mit
Bewunderung wandten sich die Blicke aller Völker ihm zu. Er zeigte den er-
schlafften Fürsten Deutschlands, was ein entschlossener, fester und eiserner Wille
vermag, und erreichte vollständig sein Ziel, Preußen zu einer politischen Macht
zu erheben und den Feinden Deutschlands Achtung vor deutscher Kraft einzuflößen.
Noch mehr aber war er in der Sorge für sein Land den Reichsfürsten ein Muster,
indem er wie sein Vater nur „der erste Diener des Staats“ sein wollte. Aber
dlese ahmten ihm nur in der Liebe zum Militär nach 3) und verpraßten nicht bloß
für großartige Feste, Jagden und glänzenden Hofhalt, sondern auch für ihre Sol-
1) Der Kurfürst wandte sich damit an die deutschen Reichsfürsten.
2) Dieser sagte: „Ich will meinen Kindern Pistolen und Degen in die Wiege
egen, daß sie die fremden Nationen aus Deutschland helfen abhalten.“
3) Auch die begründetsten Klagen über die Militärlasten wurden entweder gar
nicht angenommen oder mit einem leeren Troste zurückgewiesen. So wollte sich die
württembergische Regierung im Jahr 1737 durchaus nicht zu einer Verminderung des
Heers verstehen, „weil eine solche wider das Lustre des fürstlichen Hauses sei.“