172 III. Württemberg als Herzogthum.
herrschten mit vollkommenen Hoheitsrechten in Deutschland und ließen dem ge-
meinsamen Oberhaupte nichts übrig als die Bestätigung gegenseitiger Verträge,
Standeserhöhungen u. s. w. „Alle Größe im politischen Leben des deutschen
Volkes war erstickt; niemand fühlte sich als Glied eines großen Ganzen, für
welches man leben und sterben müsse.“ — Auch von den einst blühenden und
stolzen Reichstädten waren nur noch wenige in einer gedelhlichen Lage. Zwar
bestanden noch 51 reichsunmittelbare Städte, deren Abgeordneten ein besonderes
Kolleglum auf dem Reichstag bildeten. Aber sie hatten durch die verheerenden
Kriege des 17. Jahrhunderts von ihrer Bedeutung viel verloren. Sie waren in
ihrem Gebiete und in ihrer ökonomischen Lage heruntergekommen, ihr Handel
lag darnieder, und in ihrer Verwaltung und Rechtspflege standen sie hinter den
größeren und mittleren Staaten weit zurück. Das früher so blühende bürgerliche
Gewerbe war verfallen, der handwerktreibende Theil der Bevölkerung theils in
eine tiefe Erschlaffung gerathen, theils durch eine verkehrte Zunftgesetzgebung ge-
hindert, sich frei und selbständig zu entwickeln. So konnten die Reichstädte in
friedlichen Zelten wohl fort vegetiren, aber dem Sturme nicht mehr trotzen, der
eine neue Weltepoche brachte. Weil sie von Gärungsstoffen am meisten an-
gefüllt waren, so erlagen sie auch am raschesten dem ersten Einflusse der neuen Zeit 1).
In den Fürstenthümern war die souveräne Gewalt „ein furchtbares
Spielwerk, ein schneidend Schwert in der Hand des Kindes, zum Ernst zu wenig,
zum Scherz zu viel.“ Das hatte leider auch Württemberg im 18. Jahrhun-
dert zur Genüge erfahren müssen. Die Freihelten waren untergegangen, die Rechte
zertreten; die Herrscher verlangten ungeheure Geldsummen, um sich mit Pracht
und einer Soldatenmacht zu umgeben, welche gegen äußere und innere Feinde
schützen sollte; in der Verwaltung der streng geregelte Gang der Maschine, alles
in steife Formen gezwängt. Diesem düstern Bllde gegenüber steht das kräftig und
kühn aufstrebende Leben des Volkes in Landwirthschaft, Handel und Industrie,
Künsten und Wissenschaften, das energische Ringen und Streben nach Freihelt
und ihrem helligen Schutze.
Württemberg hatte am Ende der Regierung des Herzogs Karl einen
Flächeninhalt von beinahe 200 Quadratmeilen mit 640,000 Einwohnern, also
— — — —
Baronen waren Höflinge, aus den geharnischten Rittern feine Herren mit seidenen
Strümpfen und Galanteriedegen geworden. Durch die Laster, die der Adel in Paris
kennen lernte, kamen viele Geschlechter auch körperlich zurück. Alle Kinder erbten gleich
und verarmten so durch Theilungen. Zudem jagte alles nach höherem Range. Jeder
Bediente einer fürstlichen Maitresse, jeder Kuppler bei Hofe, bald auch jeder Hofjude
wollte Baron, jeder Bruder oder Mann einer Maitresse Graf, wo nicht Fürst werden.
So wurde Deutschland mit Herren-, Grafen= und Fürstengeschlechtern des neuesten und
dunkelsten Ursprungs überschwemmt. Dieser Adel nahm bei seiner ausschließlich franzö-
sischen Bildung, bei dem hochgeschraubten Wesen der Höfe und bei dem Mangel an
echtem Verdienst eine unnatürliche Hoffart gegen die niedern Stände an.“
1) In Eßlingen (1701), Reutlingen (1726) und Hall (1728) giengen die
Reste alter Ersparnisse in zerstörenden Feuersbrünsten unter. In den schwäbischen Reich-
städten lag die Gewalt in den Händen einzelner Familien, die sich gegen jede Neuerung
sträubten, so daß Magistrat und Bürgerschaft meist in Hader lebten. In Cölingen
tbat die Syndikatsdeputation sogar Schritte, um die Start, unter Verzicht auf die
Reichsunmittelbarkeit, der württembergischen Regierung zu unterwerfen (1798). Unter
den wenigen Städten, die sich einer geordneten Verwaltung erfreuten, zeichnete sich haupt-
sächlich Heilbronn aus.